„Leeeeeeif“ schallte es im vergangenen Sommer in meinem Kopf, wenn M. und ich den Kaiserdamm hinab brausten, auf der Jagd nach der grünen Welle. Für den Kommentator des Berliner Sechstagerennen 2015 schien das am letzten Abend der bevorzugte Schlachtruf zu sein.

Eine gute Wahl: Leif Lampater gewann am Ende gemeinsam mit Marcel Kalz und ist in diesem Jahr Teil der deutschen Nationalmannschaft für das Vierer-Team in Rio. Es wundert mich übrigens, dass Bahnradsport überhaupt noch olympisch ist. Immerhin spielen die dort inzwischen auch Beachvolleyball. Ich meine ja bloß.

Als M. vor fünf Jahren vorschlug, zum Berliner Sechstagerennens zu gehen, kannte ich von den Namen der Fahrer keinen einzigen. Ich wollte mir gern professionellen Radsport ansehen, aber glaubte nicht, dass dies über einen ganzen Abend hinweg spannend sein könnte. Rennradfahrer, die stundenlang im Kreis gegeneinander antreten? Da trinkt man wohl in Ruhe sein Bier und schaut ab und an, wie es steht.

Stattdessen hing ich atemlos über der Bande mit Tausenden tobenden Zuschauern, die wollten, dass die lokalen Helden Robert Bartko und Roger Kluge diese 100. Ausgabe gewannen, während sich die Stimme des Kommentators überschlug und im ohrenbetäubenden Gebrüll der Menge unterging.

Ich staunte über ein Publikum, dass ich dort nicht vermutet hätte. Menschen älteren Jahrgangs, nach denen man in Mitte oder Prenzlauer Berg vergeblich Ausschau hält, aßen ihren Krustenbraten und zückten ihre Trillerpfeifen, sobald der Sportpalastwalzer einsetzte.

Auf dem Oval kämpften derweil Weltklassefahrer um Preise von Sponsoren, die eher klingen, als würden sie einen lokalen Volkslauf ausstatten. Und wie sie kämpften! Dann die fliegenden Wechsel im Zweiermannschaftsfahren. Im vollen Karacho des Feldes fährt einer von oben rein und einer nach unten raus, dabei bringt der untere den oberen mit dem sogenannten Schleudergriff auf Tempo. Ich konnte mich nicht sattsehen!

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Seitdem gehört der Besuch des Sechstagerennen zum winterlichen Überlebens-Programm.

Am Tag des Finales hinzugehen ist so eine Sache. Bei zwei Runden Vorsprung scheint der Wettkampf bereits für die Belgier mit der 7, Kenny de Ketele und Moreno de Pauw, entschieden. Eine solche Differenz, so lernen wir, wurde in der Geschichte der Sechstagerennen nur ein einziges Mal aufgeholt.

Trotzdem werfen sich die Zweitplatzierten Roger Kluge und Marcel Kalz vom ersten Startschuss an ins Rennen, als gäbe es kein Morgen. Bis zur Großen Jagd gelingt ihnen kein Rundengewinn, die 7 klebt ihnen an den Fersen, was auch immer sie versuchen. Dann geht Kluge, von euphorischen Zuschauern angeheizt, in frenetischem Jubel ringt er dem Feld mit zusammengebissenen Zähnen eine Runde ab, denn auch die Dritt- und Viertplatzierten lassen nicht locker, es wird gekämpft bis zum letzten Tritt! Noch eine Runde ist jetzt aufzuholen, insgesamt nur noch zwanzig zu fahren, da ziehen Kalz und Kluge noch einmal los. Die Zuschauer springen auf, brüllen, kreischen, pfeifen, johlen, die Holzplanken dröhnen, die Fahrer fliegen dahin! Und dann klappt es nicht, zu kurz vor Ende wohl diese Flucht, die Belgier gewinnen, aber der Kampf um den Sieg war heroisch, der Abend wieder einmal viel zu schnell vorbei.

Sechstagerennen verlieren ja an Zulauf, die Veranstaltungen in Europa lassen sich inzwischen an einer Hand abzählen. Von den ersten Tagen der 2016er Ausgabe in Berlin werden volle Tribünen gemeldet, aber als wir auf den letzten Drücker Karten für das Finale kaufen, sind noch reichlich Plätze zu haben. Man fragt sich, warum das Event in der Stadt so wenig sichtbar gemacht wird. Mit einem steigenden Anteil internationaler Einwohner und dem angeblichem Jedermann-Boom ist doch die deutsche Radsportmuffelei keine Ausrede mehr?

Von den Medien kommt wenig Hilfe. Im Netz finde ich Berichte über den ungesund hohen Lärmpegel, den Niedergang dieser Veranstaltungsform und Förstermanns Schenkelumfang. Schade, dass der großartige sportliche Charakter weniger im Mittelpunkt steht.

Bleibt zu hoffen, dass es dem neuen Eigentümer des Berliner Sechstagerennens zu 2017 gelingt, daran etwas zu ändern. Damit das Event weiterhin eine schöne Kerbe in endlose Wintermonate schlägt und uns die Zeit bis zum nächsten Sommer auf dem Kaiserdamm verkürzt.

Zum Berliner-Sechstagerennen im Netz

Nachtrag am 12.02.16:

Jörn von umdensee.blogspot.de hat über das Sechtagerennen in Bremen geschrieben und das sozio-kulturelle Randgeschehen der Veranstaltung ausführlich beleuchtet. Dieser Unterhaltungs-Kladderadatsch fiel in Berlin glücklicherweise der Sparwelle zum Opfer, gehört aber anderswo eben dazu. Jörn hat meinen Bericht netterweise als Ergänzung verlinkt, und weil ich das eine gute Idee finde, tue ich das hiermit auch!