Mein Chef spinnt. So einen Satz sollte man nicht niederschreiben, vor allem nicht digital und schon gar nicht im Netz. Wenn es aber stimmt?
Kommt der in mein Büro spaziert, unterm Arm eine riesige kartonierte Tragetasche, dunkelgrün mit goldenem Emblem, und zieht hervor eine noch riesigere Schachtel, dunkelblau mit goldenem Bändchen. Fassbender & Rausch. Feinste Confiserie aus der Nachbarschaft. In rauen Mengen.
„Willst du meine Saison sabotieren“, sage ich.
„Ach, das radelst du doch weg“, erwidert er. Der Mann hat es raus! Man könnte glatt meinen, der will was.
Der geübte Langstreckenfahrer denkt in Etappen. Ich zähle die Streckenabschnitte. Es sind 8 mal 12 Pralinen zu verspeisen.
Kollege A. und ich drehen mit den Fingern eine erste Proberunde in der Schachtel – mmmh, sind die lecker! – während wir grübeln, wie diese Herausforderung anzugehen ist. A. ist in seiner Jugend im Osten für den Leistungskader geschwommen. Statur und Moral hat er im Wesentlichen behalten. Was sportliche Leistungen betrifft, ist er nicht so leicht zu beeindrucken. Ich: „Sonntag war Magdeburg, 170 km“, er: „ah, wollte ich auch mal“. (Anmerkung der Redaktion: A. besitzt nicht mal ein Rennrad.) Er ist also der richtige für diese Situation.
Ein verlängertes Wochenende, so viele Kilometer und so viel Schokolade wie möglich, schlage ich vor. Eine Art Fatty 500, 32 Pralinen am Tag. „Schaffste nicht“, sagt A.
Dann zehn Wochen lang je eine werktags, zwei am Wochenende. Aber bleiben die so lange frisch? Wie wären Intervalle, sich Freitag Nachmittag so richtig vollstopfen und Samstag morgen den Fettstoffwechsel auf Touren bringen?
Immer diese Optionen. Ich liebe ja den Zustand, wenn man erst einmal mit überschaubarem Gepäck unterwegs ist. Daheim zwar lästiges Aussortieren bis zum letzten Gramm, dann aber herrscht unterwegs die friedvolle Stille der mangelnden Wahlmöglichkeit. Keine Fragen im Koffer. Nur Antworten.

M. hat vorgearbeitet und ist bereits bestens präpariert für die frühjährliche Trainingsrundfahrt, zu der wir in knapp drei Wochen aufbrechen. Ordentlich aufgeschichtet liegen seine sämtlichen Sachen parat. Fehlt nur das letzte Aussieben, abhängig von der unmittelbaren Wettervorhersage.
Ich bin ihm dafür 600 Jahreskilometer voraus (habe ja ein paar Pralinen zu verbrennen), was er durch männlichen Muskelüberschuss aber mit Leichtigkeit wettmachen wird. Wie ich das hasse! Kader-Kollege A. dazu im letzten Jahr: Musst du halt doppelt so viel trainieren. Aber am Anfang der Saison, da nutzt das irgendwie nichts.
Zur Auswahl des Zubehörs habe ich jedenfalls noch keinen Finger gerührt. Das ist aber nicht schlimm, denn ich habe im vergangenen Jahr auf Fotos dokumentiert, was man da so braucht, für vier Tage bei Temperaturen zwischen 18 Grad am Tag und 5 Grad in der Nacht.
Bis auf die Trinkflasche bringe ich alles Benötigte gut am Körper, im Apidura saddle pack und in einem Rucksack mit 15 Litern Fassungsvermögen unter. Man muss dazu sagen, dass ich mit meinen 1,60 m eher platzsparende Kleidung habe. M. stöhnt z.B. über seine Schuhe, die allein schon ein halbes Gepäckstück belegen. In meine stopfe ich tagsüber Sachen wie Ersatzschlauch oder Licht. Ist blöd, wenn man unterwegs was davon braucht, aber wir fahren da ja kein Rennen.
Vorher untereinander abgleichen, was man zusammen benutzen kann, hat sich auch bewährt, denn zu zweit kommt man durchaus mit weniger als sechs Reifenhebern zurecht. Und dann muss man überlegen, was man für die Anreise anzieht, damit vorm Aufsitzen nicht unnötig getrödelt wird.
Mit so einer immer wieder durch Erfahrung ergänzten Liste komme ich auch seit mehreren Jahren mit gut tragbarem Gepäck über unsere Hüttentouren. Das ist nicht unwichtig, denn sobald es knifflig wird am Berg, und mich ein zu schwerer Rucksack in die Tiefe zu ziehen droht, macht M. lieber heroische Bilder, statt mir zu Hilfe zu eilen. Ich schaffe es dann auch ohne ihn, und zuhause glauben wieder alle, wir wären ausschließlich schwarze Routen geklettert.

Für die Trainingsfahrt muss ich also nur meine Fotos „nachpacken“. Lächerliches Luxus-Problem gelöst.
Das andere Luxus-Problem, der Riesenberg Schokolade, das lösen A. und ich in mehreren Etappen Team-Zeit-Essen parallel zu den täglichen Besprechungen. Wir kommen da ganz gut voran. Erhalten habe ich die Pralinen übrigens, weil der Chef uns in Kürze verlassen wird. Auf einmal übertönt dann etwas Wehmut den Alltag, und es kommt zu solch ungewöhnlich schönen Taten und Worten.
Der neue Chef fährt übrigens Motorrad. Das ist auch nicht ganz blöd, denn so wird man sich kaum je bei einer RTF begegnen. Welche Optionen sich da schon wieder aufgetan hätten: Fährt man brav hinter ihm her? Überholt man ihn, hängt ihn angeberisch ab? Oder spendet gönnerhaft Windschatten? Fragen, die ich mir nun nicht stellen muss.
Stattdessen esse ich noch eine Praline. Mmmh, sind die lecker. Danke, lieber Ex-Chef. Nicht nur dafür werde ich dich ehrlich wirklich vermissen!
23/02/2016 at 20:30
Dazu möchte M. bemerken, dass das Gepäck auch noch zwei zusätzliche Dolce-Vita e Cultura Tage im Nicht-Teutonen-Functional-Wear-Look unterstützen muss. 🙂
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23/02/2016 at 21:19
Was ein Glück, dass wir nicht in Mailand einradeln … wir müssten ja die Wanderrucksäcke aufschnallen…
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