An einem Montag Morgen mit Halsschmerzen aufwachen und draußen regnet es – das kann sogar richtig gut sein, wenn man sich auf einem Campingplatz bei Brügge befindet und in zwei Stunden einen Termin bei der Firma „Fietsen Cles Vaneenooghe“ hat, Hersteller der wunderschönen und begehrten Jaegher Stahlrahmen.
Einzig entfällt die Anfahrt mit dem eigenen Rennrad, und das, wo der Puls schon so hoch ist wie vor einem mittleren Alpenmarathon. Bereits Tage davor habe ich zum altbewährten Mittel gegen die Aufregung gegriffen, dem Telefonat mit dem Coach. Das hat geholfen, aber nicht lange.
So gondeln wir im Regen mit Herrn Nilsson nach Ruiselede, halten Ausschau nach Kaffee, für den keine Zeit mehr war, nachdem ich mich samt Make-up so lange in den Waschräumen aufgehalten habe, wie M. es niemals für möglich gehalten hätte. Aber hey, es geht zu Jaegher!
Fünf vor zehn und nüchtern treffen wir dort ein, drücken uns die Nase an den Scheiben der Ausstellungsfläche platt, wo die edlen Maschinen weitflächig aufgebaut sind, und wagen uns schließlich durch die Seitentür in die verlassene Werkstatt.
Hier sieht es schon anders aus. Rohe und halbfertige Radrahmen stehen und hängen herum. Altmodische Maschinen. Ein Durcheinander an Werkzeug, als habe eine Bombe eingeschlagen. M. deutet auf eine angelehnte Tür zu einem kleinen Büro. Drinnen lehnt ein Repetiergewehr am Schreibtisch. Hätten wir besser doch draußen warten sollen?
Über Diel Vaneenooghe, Bauer der Jaegher-Rahmen, ist in den Artikeln, die andere Blogger freundlicherweise zur Verfügung gestellt oder geschrieben haben, das Offensichtliche gesagt. Wir haben gelernt, dass die Jaegher-Räder allesamt Namen von Kampfflugzeugen tragen. Wir haben verstanden, dass der Name „Jaegher“ aus Graubünden stammt. Wir haben gelesen, dass der Mann, der uns hier empfängt, einen außergewöhnlich festen Händedruck haben soll.
An letzterem kann ich nun nichts Besonderes feststellen, als er eintrifft. Sympathischerweise auf seinem eigenen Produkt, trotz Regen. Na klar, wir sind hier in Belgien.
In Belgien wird auch nicht lange gefackelt, wenn es darum geht, ein Rennrad zu erwerben. Kaffee, vergiss‘ es. Wir stehen bei den Rennrädern, und Diel erklärt. Die verschiedenen Rahmen. Die Optionen, wie der Vorbau integriert werden kann. Wie die Rohre leicht elliptisch geformt werden, um den Rahmen steifer zu machen. Aber das gilt nur für die größeren Ausführungen des Interceptors. Für meinen kleinen Rahmen wird das nicht nötig sein, klassisch kreisrundes Rohr ist ausreichend.
Überhaupt habe ich das Gefühl, dass ihm das gefällt, einen kleinen Rahmen zu bauen. Sehr angetan beugt er sich über die Maße meines Bike fittings, die ich zücke, als er mich nach meiner Rahmengröße fragt. Die berühmte Vaneenoogh’sche Vermessung entfällt. Synergy Pro, Ihr habt besser einen korrekten Job gemacht!
Auch dass ich mich bereits für Farbe und ein „Quote“ entschieden habe, das auf dem Oberrohr angebracht wird, findet seine Zustimmung. Leicht vorstellbar, wie sich Kunden hier immer wieder anders entscheiden. Mal sehen, ob ich durchhalte in den acht Wochen, welche die Anfertigung des neuen Rads in Anspruch nehmen soll.
Fehlen noch all die Anbauteile. In deutscher Gründlichkeit habe ich ein paar dieser Grafiken mitgebracht, auf denen alle Radbestandteile mit den englischen Begriffen versehen sind. Und weil ich einen Hang zu so etwas habe, habe ich auch gleich im Camper Vokabeln gelernt.
Was ich am schwierigsten finde: Laufräder. Ich mag es klassisch schlicht. Kein Hochprofil-Kram, keine Reduktion auf acht Speichen. Diel zeigt sehr schöne, schlichte, handgefertigte Laufräder von SWS, eine belgische Firma. „Ja“, sage ich. Ich komme mir vor wie eine der Ladies aus Sex and the City, die ohne mit der Wimper zu zucken 400 Dollar für ein paar Schuhe ausgeben. Und hier geht es ja um etwas höhere Beträge. Aber die moralische Entscheidung ist gefällt, und ich denke einfach an meinen Bruder, der sagen würde, das letzte Hemd hat schließlich keine Taschen. (Übrigens eine Sache, die ich so gerecht wie nichts auf der Welt finde.)
Auch bei den Komponenten ist Diel entspannt. M. will wissen, ob er nicht irgendeine Gruppe besonders gern verbaut. Diel antwortet, das seien doch alles Glaubensfragen. Und wenn jemand gern mit Shimano fährt, warum soll er ihm etwas anderes beibiegen?
Nicht einmal beim Sattel stutzt er. Was vermutlich daran liegt, dass er noch nie etwas gehört hat von meinem verehrten SQLab (laut M. mein „medizinischer Sattel“). Aber er hielte es für sehr, sehr dumm, einen Sattel zu wechseln, wenn man gut drauf sitzt. Was mich endgültig für den Mann einnimmt.
So ist alles beisammen, ich bekomme in Kürze ein Angebot, und kann kaum glauben, dass es endlich etwas werden soll mit einem neuen Rennrad. Und das an einem Montag morgen vor 11 Uhr! Zur Feier gibt es Kaffee.
Und dann muss ich endlich anfangen zu trainieren. Neben dem Umstand, dass schon Eddy Merckx Jaegher fuhr, ist auf der Jaegher-Website zu lesen, dass „Yeager“ auch der Namen des ersten Piloten ist, der die Schallmauer durchbrochen hat. Rumzuckeln ist da wohl nicht mehr!
17/04/2016 at 20:43
Ja, Chuck Yeager, Supertyp, über den ein anderer Supertyp, Tom Wolfe ein 1979 ein Buch geschrieben hat „The right stuff“, das auch 1983 verfilmt wurde (nicht ganz so gut). Chuck Yeager wird dort gespielt von Sam Shepard, der wiederum großartig mit Jessica Lange in dem Film Frances (1982) ist. Helden meiner Achtziger. Viel Spaß mit dem Jaegher dann.
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17/04/2016 at 22:09
Jetzt wollte ich schon schreiben, Jessica Lange, hat die nicht mit Jack Nicholson in Chinatown – aber das war ja Faye Dunaway, was ein Patzer…
Danke Dir noch fürs Verlinken des Jaegher-Artikels von cyclingtips! War noch mal aufschlussreich.
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17/04/2016 at 23:53
Und wenn wir schon bei Chuck Yeager sind: Vor mir liegt „Yeager“ The Multi-Million Copy Bestseller. Die Autobiografie dieses Ausnahmepiloten. Aber der Gute hat offensichtlich so gar nichts mit Jaegher zu tun. Passt aber trotzdem gut!
Da bin ich schon sehr gespannt auf den Tag, an dem Du zum ersten Mal auf dem Jaegher sitzen wirst.
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18/04/2016 at 22:36
Also, nachdem die Erwähnung von Chuck Yeager diese Begeisterungsstürme unter Euch auslöst, habe ich jetzt doch mal gegoogelt. Und da gibt es noch eine Parallele zum schnellen Rennradfahren. Den Flug, mit dem er die Schallmauer durchbrach, unternahm er angeblich mit zwei gebrochenen Rippen… das ist doch fast wie eine TdF-Etappe mit gebrochenem Schlüsselbein! Das klingt so wild-romantisch.
Und als nächstes sehe ich dann, dass der Mann sogar bei Facebook ist. Romantik zu Ende.
Vielleicht lese ich die erwähnten Bücher trotzdem. Aber erst zusammen mit dem Jaegher!
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27/04/2016 at 21:06
Takeshi!
Du hast es getan! Du hast Dir ein neues Rad gekauft. Hut ab!
Gerade eben habe ich bei einem Rennen wieder mal gestaunt, wie gut mein Rad arbeitet und funktioniert und wie gut mein Rad zu mir passt. Und doch verbringe ich viel Zeit damit, nach einem neuen Rad zu suchen.
Und irgendwann wird er dann da sein, der Moment in dem es soweit ist, dem alten Rad zu sagen, daß es jetzt in den Ruhestand geht. Ok, bei Dir klingt das nicht ganz so absolut, denn das Verago wird -wenn ich Eure Konversationen richtig gedeutet habe- nicht in den Stillstand versetzt, sondern kann mit Dir seinen Herbst genießen. Egal ob mit oder ohne Nebel.
Ich bin genauso gespannt darauf, zu erfahren wie Ihr zu dritt klarkommt, wie darauf zu erfahren, was das Jaegher so alles kann.
Ich wünsche Euch auf jeden Fall einen flotten, wie harmonischen Dreier!
Gruß!
Who the Chuck is Yeager?!?
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28/04/2016 at 21:44
Lieber Jörn, vielen Dank für Deinen kleinen Kommentar-Roman! Rennen, ich lese immer nur Rennen. Du hast vollzogen und speist Deine Leser mit einem Haufen schmutziger MTB-Klamotten ab?!
Ja, ich habe auch gelesen, die Familie und anderes. Ich kenne das irgendwie, und dann will und muss man zwischendurch auch einfach mal fahren.
Apropos Familie: Ich pflege mit meinen Rädern natürliche saisonale Monogamie. Alles andere wäre so, nun ja. Nicht Familien-tauglich!
So, und jetzt muss ich wohl die Ergebnislisten der Tour d‘ Energie auf eigene Faust durchforsten.
Bis bald einmal, auf welchem Rad auch immer!
P.S. Ich will aber schon noch hören, was aus den beiden gelben Vollhonks geworden ist 🙂
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29/04/2016 at 7:03
Takeshi!
http://umdensee.blogspot.com/2016/04/zwei-geformte-charaktere.html?showComment=1461905974193#c7928991633308542928
Ich wusste mal, wie man in der Kommentarfunktion einen Hyperlink hübsch macht, habe es aber wieder vergessen.
Gibt es in der Blogger-Netiquette eigentlich Faustregeln für das „Gehen wir zu mir oder zu Dir?“, in dem wir hier gerade stecken?
Gruß!
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