In den letzten Wochen hat sich in meiner Freizeit eine sommerliche Routine aus Fahren, Erleben und Schreiben eingestellt. So hätte es wohl immer weiter gehen können, aber angesichts des laufenden Transcontinental Race, Ausgabe Nr. 4, erscheinen mir meine eigenen Bemühungen so nichtig, und die Spannung beim Verfolgen der Ereignisse lässt gar keinen Platz für andere radfahrerische Themen.

Vor einiger Zeit fiel mir das Buch „Von Null auf Tausend“ von Achim Heinze in die Hände, der erzählt, wie er zum Ultracyclist wurde und lernte, viele hundert Kilometer und Höhenmeter am Stück zu überwinden. Danach vertiefte ich mich für mehrere Wochen in alle möglichen Berichte und Filme, die ich über Langstreckenradrennen nur finden konnte.

Mit dem Schauder der Faszination las ich darüber, wie der Österreicher Christoph Strasser sich schon Stunden vor dem Race Across America auf Flüssignahrung umstellt, um sich den Übergang in das Rennen körperlich zu erleichtern. Oder wie das Team des großen Jure Robic dessen durch Schlafentzug verursachte Halluzinationen dazu benutzte, den Mann vor sich her zu treiben. Im Kopf geblieben ist mir der Film „Bicycle Dreams“, eine Art Dokumentation der Extreme des RAAMs von 2005, in dem viele Akteure zu Wort kommen und sich über alle möglichen Aspekte äußern, die Menschen zu solchen Leistungen anspornen.

Ich bewunderte, was Radsportlern über solche Distanzen gelingt, aber ich fand auch Dinge, die mir nicht so sehr gefielen. Zum Beispiel, dass jeder Fahrer samt Crew in einem Begleitwagen unterwegs ist, der er sein Wohlergehen so ziemlich vollständig überantwortet.

Dann stolperte ich über die Website des Transcontinental Race, das eine ganz andere und neue Art von Rennen darstellte. Das TCR, so las ich, will zurück zu den Anfängen des Radrennens. Es gibt Start, Ziel und ein paar Kontrollpunkte vor und verlangt ansonsten, dass der willige Fahrer die Strecke ohne fremde Hilfe bewältigt und nur auf Unterstützung zurückgreift, die allen gleichermaßen zugänglich ist. Und das über eine Distanz von Geerardsbergen, Belgien bis Canakkale, Türkei (so in der 2016er Ausgabe). Um die 3.500 Kilometer, je nach (frei) gewählter Route.

Aufbruch ins Ungewisse! Abenteuer! Das Foto vom nebelverhangenen Hotel Belvedere am Furkapass tut sein übriges, um die Stimmung zu beschwören. Dazu die logistische Meisterleistung, sich neben mehreren hundert Kilometern am Tag auf dem Rad komplett selbst zu versorgen.

„Warning: productivity at work may drop“, twittert Alain Rumpf, Finisher im letzten Jahr, angesichts der Möglichkeit, die Teilnehmer mittels eines Senders live zu verfolgen. Jeder Fahrer ist ein buntes Pünktchen auf einer Karte, das per Klick Informationen zu den zurückgelegten Kilometern enthüllt.

Seit Samstag bin auch ich gefangen im Tracking. Mein erster Gedanke beim Aufwachen ist der Reload-Button. Nach jedem Meeting freue ich mich wie ein Kind auf den aktuellen Stand. Kristof Allegaert, zweifacher Sieger, fährt in den ersten 72 Stunden unfassbare 1.460 Kilometer. Natürlich auf einem Jaegher! Emily Chappell, momentan die schnellste Frau, kommt in der gleichen Zeit auf 1.100 Kilometer. Wenn ich das richtig sehe, hat sie nicht mal einen Zeitfahraufsatz. Aber es sind natürlich alle Helden, die sich auf eine solche Tour begeben. Vielleicht gerade diejenigen, die nicht vorausfahren. Und noch ist das Rennen nicht einmal zur Hälfte vorbei.

Ich finde es bemerkenswert, wie mich diese über eine Karte verstreuten Smarties, die sich alle Stunde ein wenig verschieben, zu fesseln vermögen. Kein Sterbenswörtchen über das Transcontinental in einschlägigen Medien wie Radsport-News oder Eurosport. Informationen finde ich nur auf Twitter, auf Facebook, oder auf der Website des Veranstalters. Es sind oft private Bilder, hier und da ein kleines Video.

Und trotzdem. Vielleicht gerade weil es nur Momentaufnahmen sind. Vielleicht, weil die Tweets eine kleine, eingeschworene Gemeinschaft von Menschen skizzieren, welche die Verrücktheit und die Chuzpe besitzen, sich auf diesen Weg zu machen (und Leute wie mich teilhaben lassen, die davon hingerissen sind). Vielleicht, weil die „Stars“ so irgendwie greifbarer werden, auf den gelegentlichen Schnappschüssen, mit ihrem persönlichen Sammelsurium an Sachen, mit ihren individuellen Rad- und Packkonstruktionen, als wenn sie abgeschirmt in Teamtrikots und –bussen verschwänden.

All das lässt Platz für die eigene Vorstellung. Die Schmerzen bleiben der Fantasie überlassen. Gleichzeitig fühlt es sich nach Pionierzeit an. Und macht unendlich viel Lust, auf das eigene Rad zu steigen. Oder zumindest Komoot aufzumachen und eine Strecke zu planen, da ich doch auch weiter den bunten Pünktchen zuschauen will.

Ich freue mich schon, wenn bis zur Abschlussparty in zehn Tagen möglichst viele Fahrer in Canakkale eingetroffen sind. Endlich nichts mehr verpassen! Apropos: Emily Chappell ist schon wieder 230 Kilometer weiter. Meine nächste Tour verschwindet gerade in der Bedeutungslosigkeit.

Transcontinental Race im Netz:

Website, Twitter, Facebook

Tracking über Trackleaders Tracking über Freeroute (beta Version) – meine bevorzugte Version

Danke an Christoph von Aller Wege, der vor einiger Zeit auf Emily Chappells Blog aufmerksam machte (und der auf seinen Streifzügen durch die Republik regelmäßig die treffendsten Bilder von Tankstellen macht, die ich mir vorstellen kann).