Und ihr geht wirklich nicht Radfahren, werden wir gefragt, meist ein zweites, gern auch ein drittes Mal. Nein, wirklich nicht, antworten wir auch das zweite oder dritte Mal. Die Leute glauben es nicht recht, aber ja, wir machen Ferien in Frankreich, fahren dieses eine Mal im Jahr kreuz und quer mit einem geliehenen Wagen durch die Gegend, fernab vom Alltag, und damit auch vom Rad.

Dass die Möglichkeit besteht, unterwegs für einen Tag Rennräder zu leihen und damit den einen oder anderen Pass hochzufahren, hat ja damit nichts zu tun. M. hat sich vor einiger Zeit in den Kopf gesetzt, die vier Großen der Tour abzuhaken: Tourmalet, Alpe d’Huez, Ventoux, Galibier. Etwas Würze auf unseren trägen Wegen von Zeltplatz (an fließendem Gewässer bitte) zu Hotel (da vorn, das Chateau!) und zurück.

Erholung, ha, schreibt der Coach, als er meine Touren zu Galibier und Aubisque auf Komoot entdeckt. Daran muss ich denken, auf den ersten Kilometern des Col du Télégraphe. Der Galibier beginnt für uns in St-Michel-de-Maurienne, wir nehmen alle 2.300 Höhenmeter mit.

Kalt ist es hier auf der schattigen Nordseite des Berges, an diesem Tag im späten September, an dem sich die dichten Wolken, am Morgen misstrauisch beäugt, nur langsam verziehen, aber ich musste bereits mein langes Unterhemd ausziehen und es neben dem Gabba am Oberrohr verknoten. Acht Prozent, acht Prozent und nochmal acht Prozent, dank der gewissenhaften Straßenmarkierungen wissen wir genau, welche Steigung uns auf dem jeweils nächsten Kilometer erwartet.

Ich rutsche auf den ungewohnt losen Pedalen herum, die eigenen sind zuhause, nicht einmal Riemchen haben wir, kein Ziehen und Schieben, wie gesagt, das hier ist Urlaub, soll Urlaub sein. Habe mich am Morgen gefragt, ob ich hinauffahren könnte, ohne zu schwitzen, damit ich hinab fahren kann ohne zu frieren. Die Antwort lautet nein, zumindest nicht in einer angemessenen Zeitspanne (war ja nur so eine Idee!).

Das gemietete Haibike (für einen Tag sehr in Ordnung) sieht also langsam aus wie ein Kleiderhaken (die Trikottaschen voll mit Beinlingen, Handschuhen, Regenjacke; bei der Abfahrt werde ich nichts davon bereuen). Ich bin eh wieder mal zusammen gemustert unterwegs, alte Joggingschuhe mit pinkfarbenem Besatz zu den rotgeränderten Castelli-Wintersocken (genug gefroren in diesem Jahr).

Der letzte Pernod am gestrigen Abend hätte jedenfalls nicht sein müssen. Da war diese Bar im Hotel des Voyageurs. Retro Holzintarsien inmitten des etwas traurig anmutenden Örtchens St-Jean-de-Maurienne, das wir für die Übernachtung gewählt hatten. Beste Lage am Fuße der großen Alpennamen, und dann diese verhauenen Dörfer. Lässt sich Radfahren so wenig zu Geld machen?

M. feixte angesichts meiner leichten Verkaterung, anders kann man es nicht bezeichnen (das Feixen), erzählt etwas von geheimen Tricks, und nun ist er irgendwo über mir im Wald und nicht zu sehen, eigentlich müsste ich ihn schon haben, viel mehr bin ich gefahren in diesem Jahr, aber so ist das. Vier Tage durch die Gegend gekarrt, Fritten, Bavette und Rotwein, die Beine verstehen wohl nicht, dass damit auch Muskeln versorgt werden könnten.

Endlos führt der Télégraphe durch den Wald, längst habe ich aufgehört die Kilometer (zwölf) zu zählen. Serpentinen immerhin. Schrauben sich hinauf, und dann dieser Blick. Spielzeug ist das Tal des Arc zu unseren Füßen, winzige Autobahn, ein paar hingeworfene Häuschen. Schöner die Aussicht in die Berge hinein.

Die losen Pedale sitzen so langsam, wir rauschen die kalten knapp 200 Höhenmeter hinab nach Valloire, eine kurze Verschnaufpause, bis es nun wirklich an den Galibier geht, 17 Kilometer.

Gleich steil hinaus aus dem Ort, in strahlendem Licht, man kann Fahrt aufnehmen. Irgendwo dazwischen ist plötzlich Energie da, ist die Urlaubserschlaffung getilgt, der Pernod verdunstet.

Frisch ist es hier auf 1.500 Metern, die Sonne gerade recht. Es geht ein breites, endloses Tal entlang, ich habe es flach in Erinnerung, letztes Jahr vom Auto aus (ich wollte mich erklären, den tapferen Radlern zurufen, dass wir doch gerade erst aus dem Vanoise-Gebirge kamen, tags zuvor über 30 Kilometer zu Fuß mit Gepäck, und ja, ich schäme mich trotzdem, hier im Auto). Drei Prozent, fünf, sechs, dann sieben. Flach, naja. Ich muss wieder an den Coach denken, der mich mahnt, eine Passfahrt von über 2.000 Metern nicht in der Art des Teufelsbergs (knapp 50 Höhenmeter) anzugehen. Und an Pantani. Am Berg beschleunigen, hocheilen, kurz so tun, als gäbe es die nächsten 16 Kilometer nicht, was ein Gefühl.

Und die Blicke in die Nebentäler, bis hoch auf die schneebedeckten Gipfel.

Auf etwa 1.900 Metern Höhe knickt die Straße nach rechts auf eine Wand zu, führt über abenteuerliche Schleifen hinauf und mündet in einen höher gelegenen, weiten Talkessel. Und dort sieht man, nach einiger Fahrt bergauf, elend weit oben und fern (nur sechs Kilometer?), einen kleinen Einschnitt am Grat.

Steil ist und bleibt es. Bräunlich und kurz abgenagt das Gras. M. feixt nicht mehr. Stapfen statt Tänzeln hat er es genannt, als wir noch sprachen, weiter unten im Tal.

Hoch geht es. Kathartisch ist das. Hast du ein Problem, fahr‘ einen Berg. Oben ist es gelöst, oder zumindest für eine Weile aus dem Hirn geschwitzt.

Steinchen rieseln auf die Straße vor mir, ein winterfeistes Murmeltier schuftet sich über eine Felskante, ich sehe nur sein pummeliges Hinterteil. Es arbeitet auch nicht weniger als wir.

Wie muss das sein als Profi. Hier hoch zu rasen als sei jeder Tritt der letzte. Die Straße gesäumt von schreienden Menschen. Die Namen auf der Straße, sieht man das überhaupt. Aber kein Pernod am Abend. (Oder doch?)

Wir begegnen keinen fünf Radlern, kaum mal einem Auto. Es ist immer noch windstill, die Sonne bringt angenehme Wärme. Was ein Glück mit dem Wetter, so spät im Jahr. Was ein Glück, hier zu sein!

Erhaben dann der letzte Kilometer. Schraubt sich in zwei Serpentinen die schwarze, von Schnee bestäubte nächste Wand zur Passhöhe hoch. Es sieht steil aus, es kommt drauf an, ob man noch kann. Zum Saisonende mit all den Stunden in den Beinen hier hoch ist gut, ist so dankbar.

Oben feixen wir beide. Jeder Radler feixt hier. Überaus „spectaculaire“ die Aussicht und das Gefühl, mit dem Rad hier angekommen zu sein. Definitiv Urlaub!

***

Col du Galibier (2.645 Höhenmeter) von St-Michel-de-Maurienne aus:

  • 35 Kilometer (eine Richtung)
  • Etwa 2.100 Höhenmeter; dazu kommen noch knapp 200 Höhenmeter Gegenanstieg zum Telegraphe, wenn man den gleichen Weg zurück nimmt
  • Col du Galibier bei Quäldich.de.

Das Praktische:

  • Die Räder haben wir bei www.rentmybike.fr geliehen. Das ging kurzfristig, allerdings waren wir zu Mitte September quasi außerhalb der Saison unterwegs. Pumpe, Schlauch, Reifenheber und Helm standen im Preis inbegriffen zur Verfügung. Der Verleih ist etwa einen Kilometer vom Abzweig zum Telegraphe entfernt. Die Abwicklung war unkompliziert, wir konnten die Räder aber erst um 9:30 Uhr abholen, was vielleicht etwas spät ist, wenn man den Berg als Teil einer größeren Rundtour fahren möchte.
  • Thema größere Rundtour: Will man nicht den gleichen Weg zurück fahren, muss man mindestens 90 Kilometer drauf legen und kann so über la Grave und le Bourg-d’Oisans nach St-Michel zurückkehren. Dabei kann man den Col de la Croix de Fer mitnehmen, ist aber auch ohne schon mit 160 Kilometern und über 4.000 Höhenmetern dabei.
  • Lyon ist der nächstgelegene Flughafen. Motorisiert erreicht man St-Michel-en-Maurienne in drei Stunden. Wir sind in Nizza gestartet und über die italienische Seite in mehreren Etappen nach St-Michel gefahren. Nimmt man dabei den Tunnel du Fréjus, der das italienische Bardonecchia mit dem französischen Modane verbindet, so sollte man etwas mehr als das in Frankreich übliche Autobahn-Kleingeld parat haben: Die Nutzung mit dem PKW kostete 44 Euro.