Wie, du fährst mit dem Zug nach FfM und theoretisch mit dem Rad zurück, fragt P.. Bitte, was ist das denn?

Theoretisch, denn wir hatten uns nur in ein paar Tweets verabredet, und wie sicher kann man eigentlich sein, dass so etwas funktioniert? 

Wir, das waren Joas, Harald und ich. Bewährtes Team beim legendären Candy B. Graveller 2017, und als Harald schrieb, er würde in diesem Jahr einen Tag später losfahren, da er für den Abend zuvor Konzertkarten hatte, dachte ich, vielleicht so.

Theoretisch, denn richtig vorbereitet war ich nicht. Da war dieser desaströse Sonntag, an dem M. jederzeit leichtfüßig davon tänzelte, ob es nun bergauf oder bergab oder sonstwas ging. Ganz egal was ich tat. Du musst auch nicht erwarten, dass sowas noch jemand versteht, wenn du erst mal ein paar hundert Kilometer am Stück gefahren bist.

Auch mit dem Gepäck war das irgendwie komisch. Im Wald übernachten wollten wir, das erste Mal! Wechselklamotten raus aus der Tasche, Isomatte und Schlafsack rein – konnte das so einfach sein?

Pünktlich zum Aufbruch die nächste schlechte Nachricht: Joas ist verhindert. Und wenn Harald nun auch nicht erscheint? Große Lust allein dem Feld hinterher zu rollen habe ich nicht.

Abgesehen davon: So gut kennen Harald und ich uns auch nicht. 640 km zu zweit können lang werden. Was weiß ich schon über ihn? Einen Tag zusammen gefahren, eine Nacht und dann noch ein bißchen. Zumindest kam er mir nicht vor wie einer, der ständig über sich quatschen muss.

Frühzeitig bin ich am Bahnhof, dafür liegen die Notizen zuhause. Tankstellen, Bahnverbindungen, nächstgelegene Landkreisgrenzen. Na toll.

Auf Frankfurt zu wird es draußen immer ungemütlicher. Dicke graue Wolken und Regen, der in den Nachmittag rutscht. Bei Ankunft gegen 13 Uhr schüttet es.

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© Harald Legner

Wenigstens ist Harald da, wenn auch nicht in Fahrlaune. Wir besprechen die Eckpfeiler: Lieber noch abwarten, auf Regen haben wir beide keine Lust. Um Rekorde wird es kaum gehen. Wir haben uns doch zum gemeinsamen Fahren verabredet. Ich bin ganz froh.

Wir tasten uns zum Terminal 4 vor, beschließen, dort eine Wurst zu essen und erst um 18 Uhr aufzubrechen – Candy klassisch! Zwei Stunden zum Reden, genug zum Einklinken.

Dann Fotos im Nieselregen am Denkmal – mutterseelenallein diesmal, und endlich geht es los, kommt sofort Ferienstimmung auf, freue ich mich, unterwegs zu sein, Regen hin oder her.

Ungefähr genauso so schnell sind meine Überschuhe und Beinlinge vollkommen nass und verdreckt von all dem Zeug, was da von den gut getränkten Schotterwegen hochspritzt.

Egal. Richtung Darmstadt, hellgrünes Walddach, der Bärlauch, das Wasser steht zwischen den Bäumen, unglaublich, was in den letzten Stunden hier runtergekommen sein muss.

Ich denke nicht viel drüber nach, was sein wird. Gegen den Wind kämpfen wir uns voran, dort vorn sieht es irgendwie heller und nach etwas Abendrot aus, aber drehen wir nicht vorher ab? Wenigstens haben wir den Wind dann im Rücken.

Die ersten Kilometer sind schnell vorbei, im letzten Jahr hatte ich hier alle Mühe, Joas hinterher zu hetzen, wir sind ganz gut unterwegs. In Darmstadt wechselt Harald Bremsbeläge, ich stehe unnütz herum und zittere. Stelle fest, dass nicht nur ich schon jetzt so schmutzig bin wie selten, sondern auch der Saddle pack dermaßen verkrustet, dass ich nicht an meine Sachen komme ohne Hände voll schmierigen Matschs. Kalt ist es, und wenig zieht es mich ins Dunkle.

Im Schein der Lampen hinein in den Wald, ein Schlingern durch Pfützen, in die tief durchweichte Erde, ich sehe nicht genug, die Nässe verschluckt das Licht. Sarah Hammond, denke ich jedesmal, wenn da so ein längeres Wasser kommt und ich mich frage, wie tief es wird. Hat die nicht eins dieser großen Rennen gewonnen, weil sie sich durch ein reißendes Gewässer gekämpft hat, das ihre Verfolger nicht mehr passieren konnten?

Eine durchtränkte Wiese besorgt den Rest. Keine Fahrspur zu sehen, absteigen und schieben. Mangels Licht mit den Schuhen voll rein ins Wasser. Ab da knatscht es bei jedem Schritt. Es macht keinen Sinn, so im Dunkeln.

Schlafen also bei nächster Gelegenheit.

Ein nach allen Seiten offener Pavillon steht da am Wegesrand. Bikepacker Lektion eins: Es geht so wenig Wind, da ist das okay. Unsere Schlaflager klemmen wir irgendwie unter Tisch und Bänken zurecht. Ich habe noch ein trockenes Unterhemd, und mit dem Biwaksack drum herum scheint es erträglich.

In der Nacht wache ich auf und schlottere vor Kälte. Im Schlafsack sind nasse Stellen vom Kondenswasser. Harald hat mir eingeschärft, ihn zu wecken und aufzubrechen, wenn es nicht mehr geht. Aber jetzt aufstehen und im Dunkeln durch Pfützen waten, auf keinen Fall!

V. hatte mir für Momente des Zweifels einen Satz mit auf den Weg gegeben, an dem ich mich festhalte, während ich seitlich liegend auf dem trockenen Stück Stoff balanciere. “Eva, Du machst geile Sachen.” Wahrscheinlich war es wieder mal sarkastisch gemeint, aber das ist mir ganz egal. Sarah Hammond. Sarah Hammond.

Am nächsten Morgen ist alles besser, sind die Gedanken an Abbruch, Bahnhof und warme Badewanne schnell vergessen. Ein Vogelkonzert begleitet uns in die Dämmerung. Ich ziehe mir Butterbrottüten über die Füße, bevor ich in die nassen Socken schlüpfe und danke dem Coach im Geiste. Zwei Grad, sagt Haralds Garmin.

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Wir fahren in den sauber gewaschenen Morgen. Der Dunst steht zwischen den Bäumen, auf den Wegen ist das Wasser versickert. Die ersten wärmenden Sonnenstrahlen. Der Tag liegt verheißungsvoll vor uns.

Der Plan: Bis zum Main vordringen, die Räder an der Tankstelle reinigen und schauen, ob wir das nächste Stück, die Weinberge, auf Asphalt umgehen. Durch den Matsch schlingern, darauf haben wir auch im Hellen keine rechte Lust.

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In Eppertshausen wollen wir Kaffee, und ich will zur Landkreisgrenze, diese eine habe ich im Kopf. Die Straße gabelt sich, ich wähle die rechte Seite. Die linke würde er jetzt doch aber auch noch abfahren, sagt Harald. Der Mann gehört zu den Guten!

Schnell sind wir kurzärmlig unterwegs. Mein Soma wird zur Wäscheleine. Beinlinge, Socken, Trikot, langes Unterhemd; alles, was in der Nacht nicht trocken geworden ist, schnalle ich außen fest. In den Pausen das große Gewurschtel. Was muss noch trocknen, wo habe ich dieses und jenes hin gepackt.

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© Harald Legner

Wir fahren abseits vom Track, auf und ab geht es trotzdem. Landkreis Aschaffenburg. Jesko hat den schon erobert, ich mache trotzdem ein Bild. Das Leben ist schön!

Er könne sich vorstellen, längere Strecken auf Asphalt zu verlegen, sagt Harald. Einen Candy B. Road. Ich finde es gut. Wir machen etwas Neues daraus. Wir machen unser Ding!

Wir zuckeln über Landstrassen. Fulda scheint noch unendlich weit weg. 640 km Graveln wäre anstrengender. Aber einfach nur mit Rückenwind nach Berlin rollen geht auch auf Asphalt nicht.

Bei Wächtersbach endlich finden wir eine geeignete Tanke, die Räder sind in Minuten blitzblank. Matsch wollen wir jetzt nicht mehr, Matsch gilt es zu vermeiden!

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© Harald Legner

Blick auf die Navigationsgeräte, alle paar Dörfer. Wo läuft der Track, wo hangeln wir uns entlang? Im Kinzigtal sind die Radwege überflutet. Unter dem blauen Himmel wirkt das sumpfige Wasser völlig deplatziert. Wir kehren um. Doch nicht Sarah Hammond.

Sonnencreme, zwei Teller Linsen, den nassen Schlafsack in die Sonne. Schlüchtern hatte ich gestern aus dem Zug heraus gesehen, kaum zwanzig Minuten vor Einfahrt im Bahnhof Frankfurt. Unsere Reise hierher scheint schon eine Ewigkeit zu dauern.

Fulda kommt nicht näher, ich brauche aber Fulda, brauche mal ein bisschen Vorankommen („Waren wir dir etwa zu langsam!?“, höre ich Harald, während ich dies schreibe). Um 16 Uhr passieren wir die Kreisgrenze, die etwas abseits vom Track eine Landstraße kreuzt. Foto und sofort an die Traumradler geschickt, die einzige Chance. Vor mir ist Konkurrenz unterwegs!

Als eine Stunde später die Bestätigung kommt, freue ich mich diebisch. Als mir bewusst wird, dass Jesko den Candy mit defektem Rad verlassen musste, komme ich mir ungefähr so gemein vor wie Armstrong, als der im Kinder-Rennen zuerst ins Ziel gefahren ist.

Schließlich doch Fulda, kurz vor Ladenschluss sitzen wir beim bekannten Bäcker, jeder zwei Stück Kuchen, am Essen wird es bestimmt nicht scheitern. Raus aus der Stadt über Stöckels und Niederbieber, oder hatten wir Traisbach gesagt? Allmählich verwischen die Namen.

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In der Dämmerung ist die Stimmung schön, die Straßen leer, wir randonnieren vor uns hin. Mit der Aussicht darauf, draußen zu schlafen reduziert sich die Reise noch mehr als sonst aufs Fahren. Man steigt ja ab und isst, oder steigt ab und kriecht in den Schlafsack. (Harald macht das so. Ich krame. M. hätte sicher Zustände bekommen. Manchmal geht nichts über die Höflichkeit von Fremden.)

Jedenfalls kein Wunder, dass ich dauernd dieses Urlaubsgefühl habe.

Wir könnten noch immer so weiter, bergauf und bergab und Dörfer zählen. Und trotzdem zehrt es. Der Candy ist hart, Road hin oder her.

Im Dunkeln wird es zudem schwerer einen guten Schlafplatz zu finden. Harald findet ihn im Netz. Das Gelände des VfL 1930 in Philippstal ist noch nicht ganz frei von nächtlichen Hundespaziergängern, es bietet aber ein großzügiges Vordach samt Ablage für alle Fahrerkörpergrößen.

Wir probieren wenig Licht zu machen, um keine Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen. Als wir schon in den Schlafsäcken liegen, kommt ein Mann herum, leuchtet uns mit seiner Taschenlampe an, murmelt vor sich hin und verschwindet grußlos. Ob der uns jetzt hier ruhen lässt?

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