Man müsse ja nicht zu jeder Tour einen Bericht schreiben, hat die Ehefrau eines berühmten Berliner Brevet-Bloggers einmal angemerkt. Das mag sein. Aber am Dienstag Morgen ist draußen Sommer, auf dem Schreibtisch liegt noch die gleiche Arbeit wie gestern, und wenn das nicht der Moment ist, wo einen Radfahrer die Sehnsucht packt, dann weiß ich es auch nicht.

Ich glaube, Michael hatte die Idee, wir könnten im bewährten Trio die Heimat light nachfahren, eine der Vorbereitungstouren für die legendäre Elbspitze. Die Elbspitze bezeichnet sich als „unvergessliche Grenzerfahrung im Ausdauersport“ und führt nonstop von Dresden über Tschechien und Österreich nach Italien – knapp 800 km und um die 12.000 Höhenmeter, in etwas mehr als 24 Stunden. Ja, genau.

Jedenfalls, wer die Elbspitze erfolgreich bestreiten will, soll zusehen, ob er die Heimat light mit ihren 250 Kilometern und 4.900 Höhenmetern im Hellen beenden kann, und zwar zu Anfang April.

Wir wollen ja aber einen „sozialen Ritt“ machen, wie man so sagt, durch neue, schöne Gegenden, also entscheiden wir uns für die abgespeckte Version.

Wie das so ist, wenn man mit dem Auto hinfährt: Normalerweise reichen mir Lenkerrolle und Saddle pack für drei Wochen, jetzt brauche ich ein drittes T-Shirt, eine Schlafhose und Müsli fürs Frühstück. Und nachdem ich den Grundriss der Ferienwohnung Ahrendt studiert habe, auch M.s Isomatte. Nebeneinander schlafen im Freien: kein Ding. Nebeneinander schlafen mit vier Wänden drumherum (und in echten Betten!) fühlt sich dagegen seltsam intim an.

Michael hat schon die Handschuhe fürs Grobe an, als ich am Erkner‘schen Carport eintreffe, und befestigt sämtliches Gepäck säuberlich mit Gurten im Kofferraum. Der Mann ist ja wie mein Vater! Autofahrt nach Dresden, Reunion des Trios, Sightseeing, Pizza, nächtlicher Gossip am Küchentisch. Ich finde es immer wieder faszinierend, wie man mit dem richtigen Gegenüber sogar Leute durchhecheln kann, die man nur vom Hörensagen kennt. Der Mensch ist Klatsch- und Herdentier.

20190601_061106_800

Um 6 Uhr rollen wir los. Es ist der erste wirklich schöne Tag und so warm, dass ich das lange Unterhemd noch am Auto wieder ausziehe. Trotzdem kann ich mich nicht überwinden, meine Regensachen, Windjacke, die Weste oder auch nur die Stirnlampe zuhause zu lassen. Michael winkt ab. Heute doch nicht! Aber ich bin wohl zur schrulligen Randonneurin geworden.

Treffpunkt Blaues Wunder: Fotos, Abfahrt.

Die ersten paar Kilometer sind noch seicht, dann links abbiegen und bäm! – voll in die Wand, auf kleinteiligem Pflaster, und so steil, dass du sofort stehst. Diese kleinen Zacken im Höhenprofil, wo man dachte, das ist doch nichts. Puls auf 160, statt Kaffee. Wer hat sich bloß diesen Mist ausgedacht?

Ich beiße mich an Davids Waden fest. Der Mann gibt sich gern so bescheiden, fährt aber irgendwie doch alles Mögliche, und jedesmal, wenn ich ihn sehe, sind seine Waden noch definierter. Sein Zeug für den Tag hat er zum Teil in der Cargo Bib verstaut, seine ganze Erscheinung samt Rad mit schmaler Tasche auf dem Oberrohr sieht irgendwie so slick aus. So windschnittig! Mein armes Jaegher ist ein bepacktes Muli daneben.

Um Michael muss man sich sowieso keine Sorgen machen. Der steht schon oben, den Fotoapparat zur Hand, als ich endlich angeschnauft komme. An diesem Tag verstehe ich auch, warum M. sich oft gar nicht so arg freut, wenn ich schöne Bilder von seiner Bergankunft mache.

20190601_074128_C_Michael_K

Das Gute ist, wenn es steil ist, ist es auch schnell vorbei. Über die Kuppe, tolle Aussicht, weiche Abfahrt, hurra! Der Frühling hat alles grün angestrichen. Die Straße ist nur ein schmales Band, und das haben wir komplett für uns.

Hügelig und leicht verschlafen geht es rüber nach Bad Schandau. Auf den Feldern steht noch der Dunst. Eine kleine Schlange schlüpft schnell ins Gras. Die Luft in den Schluchten macht Gänsehaut auf nackten Armen.

Erster Kaffee vor halb 9, man kann schon problemlos verschwitzt im Schatten sitzen. David hat 50-Cent-Stücke für die öffentliche Toilette im Ort übrig. Die könnte ein Tipp fürs Übernachten sein: Sauber, geräumig, Heißlufttrockner.

Über die Grenze nach Tschechien, 20 km bis Děčín, sollen die Männer doch vorne fahren! und dann die wirklichen Zacken hoch. Keine Pässe, stattdessen führen die Straßen hier geradewegs bergauf, senkrecht zu den Höhenlinien. Raus aus der hektischen Stadt bin ich froh, dass die Straße wieder klein und still ist. Dafür brennt die Sonne aufs Kreuz.

IMG_0038_800.jpg

Wir haben heute Anstieg um Anstieg vor uns, 300, 400, einmal auch 600 Höhenmeter (und ich kann runterbeten, wann sie kommen), mehr ist es eigentlich nie. Und trotzdem. Hochprozentig wird es auch.

Auf Davids Linie schiebe ich mich Tritt für Tritt bergauf. Mit meinem 28er Ritzel habe ich es doch auf der großen Tour auch über ein paar steile Pässe geschafft. Die Jungs haben heute irgendwie mehr Zähne dabei. Ihre letzten Ritzel sehen aus wie Frisbee-Scheiben.

Durch die kleinen Dörfer, wo es nicht viel gibt, aber heute werkeln Menschen in den Vorgärten, und hie und da feiern sie ein Kinderfest. Der nächste tolle Blick in die Ferne, blauer Himmel, ein paar hingetuffte Wolken, was ein herrlicher, herrlicher Tag.

IMG_0051_800

Ein Feuersalamander lenkt die Herren ab, ich mache schnell ein paar Meter. Absteigen am Berg: Wenn du erst mal anfängst, wie hörst du je wieder auf damit?

Angeblich bin ich gern nur für mich unterwegs, aber das stimmt gar nicht immer. Schon allein, dass ich mal was Neues mitbekomme. Es gibt inzwischen einen Conti 5000, aha. Und als ich daheim von superleichten Tubolito-Schläuchen erzähle, muss sogar M. zugeben, dass er die noch nicht kannte.

Und außerdem achten wir aufeinander. Da, wo eine Brücke sein sollte, und gerade keine ist, gibt es helfende Hände und coole Fotos.

Aber das ist erst später, als wir schon etliche von diesen Anstiegen hinter uns haben und es irgendwie leichter geworden ist und wir nur noch diesen schaffen müssen, damit wir zur richtigen Pause wieder in Děčín sind, weil das psychologisch sehr wichtig ist.

IMG_0044_800

Mittagessen beim Inder in Tschechien. Mango Lassi, extra Naan.

Die nächste Stunde bin ich ein wandelnder Reissack. Wieder geht es den Berg hinauf.

Ich denke nicht mehr an die Uhrzeit, an die Kilometer, ich trete einfach vor mich hin. Froh sein, dass ich hier bin (besser als Börnicke!), froh sein über jeden Atemzug. In der Hitze des Nachmittags über den längsten Anstieg des Tages.

Steil die Straße, unbarmherzig die Sonne. Die Beine tun weh. Nur noch tote Schlangen auf der Straße. Und trotzdem. Gute Strecke. Gute Männer. Oder vielleicht habe ich mir die nur schön geradelt? Ist auch schon vorgekommen.

Am Wegesrand ein rhythmisches Quietschen. Michaels Rad liegt im Gras, er betätigt die Pumpe, ein dünnes, aber kühles Rinnsal über die Arme und ins Gesicht. Wir hängen auf den Picknick-Bänken. Aber wir lachen noch. Wäre ich heute nicht hier, ich würde mich ja selbst beneiden um diesen Tag.

IMG_6721_800

Und 300 Höhenmeter später, da sind wir einfach mal: oben.

Abwärts, juhu-yeah!!

Dort, wo ich die Stecke angepasst habe, ist die Straße für eine Weile ruppig und rissig und steil. Mein Jaegher pulsiert beim Bremsen, es soll die Felge sein, heute traue ich mich nicht so schnell runter.

Zurück zur Grenze, da ist ein Restaurant in einem alten Flugzeug, oh und schau mal, es gibt auch Eis!

Wir trödeln herum, die Jungs kaufen Cola für alle an der Tankstelle, ich beiße heimlich in den Energieriegel. Letzte Kilometer in der Ebene, da kennen die erfahrungsgemäß kein Pardon.

IMG_6709_600

Zehn Meter weiter wollen wir noch den Gedenkstein fotografieren, wo 1936 das olympische Feuer an deutsche Sportler übergeben wurde.

Dann, der letzte Mini-Hubbel. Noch mal in die Pedale hauen und schauen, was noch geht. Und es macht sogar Spaß! In die letzte Abfahrt donnern, ich muss ein bißchen laut in den Wind johlen, weil das so toll ist, nach Pirna runter rocken, all out!

Richtung Fluss, der Bahnhof wird zum Labyrinth, wir kapieren es nicht, weil wir nur noch übers Essen reden, die verteilten Unterkünfte, wie machen wir das denn jetzt? Weil, zum Ende dieses Tages wäre zusammen schon nochmal schön!

Und rüber nach Dresden, wir sausen den Elbradweg entlang, klingeln alles zur Seite, was da kriecht und lungert, winken uns nach links und rechts und links, ein bißchen grob vielleicht, aber hey, noch fünfzehn Kilometer! Einmal durchwechseln, na bitte schön.

IMG_7012_

Davids Frau filmt unseren Einzug auf dem Neumarkt. Wir sitzen bei Pizza, kalten Getränken und fröhlichem Erzählen. M. wird sich später empören: Was, gleich zweimal an einem Tag warst du mit denen essen?! (Nicht etwa, weil ich mein Wochenende mit anderen guten Männern verbringe.)

Es ist ein goldener, warmer Abend. Ich könnte viel müder sein. In der späten Dämmerung brechen wir auf, hoffen, die Räder an der neugierigen Nachbarin vorbei in die Ferienwohnung schmuggeln zu können. Zum Abschied bringt David mich auf die Idee, ich könnte die große Tasche ja mal zuhause lassen. Ich denke, vielleicht hat er recht.

***

Strecke auf Komoot

Danke

  • an die Mitstreiter für einen perfekten Tag. Ihr seid gute Radkumpels!
  • auch besonders an Frau D. für die nette Gesellschaft am Abend!
  • nicht zuletzt an die Verrückten von der Elbspitzen-Orga für eine tolle Strecke.

Und wer noch Fragen zur Elbspitze hat, lese bitte Tinos großartigen Bericht.

IMG_6758_400