Alles begann mit einem Brief. Der Brief wurde vor 25 Jahren geschrieben und handelte von einem Radmarathon in den Bergen. Fünf eng beschriebene Seiten zeugten von der Hölle, die es bedeuten kann, wenn man vor hat, vier Pässe der Schweizer Alpen mit dem Rennrad zu überqueren, und dafür einen schlechten Tag erwischt. Der Brief wurde zu einer Legende in meiner Familie, aber nicht, weil sein Inhalt so eindringlich gewesen wäre, oder weil wir ihn ständig gelesen oder gar daraus zitiert hätten. Der Brief gilt seit vielen Jahren als verschollen.

Das kam so, weil der Coach, zu jener Zeit selbst in seiner intensivsten Wettkampfphase, auf der anderen Seite der Welt im sonnigen Kalifornien weilte, um sich dort auf seinen zweiten Iron Man Triathlon auf Hawaii vorzubereiten. Der Coach hatte für einige Monate einen Forschungsauftrag an der Universität von Davis an Land gezogen. Ideale Lebensbedingungen, um sich an große Hitze zu gewöhnen und zeitlich akklimatisiert in Kona an den Start zu gehen.

Das war zumindest der Plan. Eine langwierige Verletzung zerstörte jedoch die Hoffnung auf Ruhm und Ehre. Zum Glück hatte der Coach diesen Wettkampf zuvor bereits erfolgreich absolviert – wie quälend muss es sein, wenn man sich und alles andere auf ein solch großes Ereignis hin ausrichtet, und es kommt gar nie zustande. So kam es, dass der Coach einige Monate allein mit zwei Katzen, die ihm zugelaufen waren, und dem einen oder anderen Hummer, den er vor dem Verzehr für Stunden in der Badewanne aufbewahrte, in einer Ferienhaussiedlung in Kalifornien lebte. Längst war die Familie wegen Schul- und anderen Pflichten abgereist.

Damals gab es das Internet nur für ein paar Militärs (zu denen wir natürlich keine Verbindung hatten), und Telefonieren war teuer. Viele Briefe machten sich auf den Weg zwischen Kalifornien und der Heimat. Auch dieser Brief, der ein leidvolles Radmarathon-Debüt in den Alpen beschrieb.
Kein wichtiger Brief, in irgendeinen größeren Zusammenhang betrachtet. Aber wer je vier Pässe der Schweizer Alpen an einem sehr schlechten Tag überquert hat, der wird wohl verstehen, dass man einen solchen Brief vielleicht einige Zeit später, etwa an einem dunklen Winterabend, gern noch einmal lesen würde.

Heute ist das einfacher. Es gibt das Internet, Brief lassen sich schneller und zeitgleich an mehrere Leute verschicken, oder gleich für alle veröffentlichen. Und das ist die Idee. Denn der Coach, der übrigens mein Vater ist, wird wohl immer wissen wollen, wie ein Radmarathon oder eine Reise mit dem Rad oder auch nur ein einzelner Pass am Ende gewesen ist. M. oder ich wollen es gelegentlich einmal nachlesen, an einem dunklen Winterabend. Vielleicht auch andere Menschen, die uns nahestehen, oder auch unbekannte Gleichgesinnte.

Takeshi ist mein Pseudonym fürs Internet, nach einer Figur aus einem Science-Fiction-Roman von Richard Morgan. Ich bin eine Frau, und ich fahre gerne Rennrad, auch wenn ich das für ein paar Jahre vergessen hatte. Alles andere ergibt sich.

Pavé in Berlin-Brandenburg
Pavé in Berlin-Brandenburg

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