Ich habe einen Freund namens Dean. Wer uns beide ein bißchen kennt, wird wohl meinen, dass wir ein ziemlich unwahrscheinliches Paar sind. Trotzdem gehen wir ab und an zusammen Rad fahren. Und das kam so.

Eigentlich haben wir uns bei der Arbeit kennen gelernt. Zwei Jahre nebeneinander rumgedümpelt, wie das manchmal so ist. Bis wir eine Situation und eine Sichtweise teilten.

Als Dean dann fortging, war ich betrübt. Man verspricht, den Kontakt zu halten, und ahnt schon, das wird nichts. Aber Dean wollte etwas für seine Gesundheit tun, und ich schwärmte ihm vom Radfahren vor. Ideal für Kreislauf und Gelenke, Ausdauer aufbauen, Kalorien verbrennen. Lass uns doch mal zusammen fahren, sagte ich. Am Morgen hatte ich ihn auf seinem Rad gesehen, so ein Touren-Ding, auf dem er ganz gut saß. Klar, erwiderte Dean. Ich habe eine gute Ausdauer! Ich schaffe schon so – ich fragte mich, was nun kommen würde – so 20 bis 25 Kilometer.

Wir sahen uns an, und dann lachten wir beide. Dean legt dafür den Kopf in den Nacken, und dann kommt ein heiseres Schnarren tief aus seinem Hals. Es ist ein Geräusch, das mich dazu bringt, mir manchmal schon vor unseren Treffen Dinge auszudenken, die er lustig finden könnte.

Nix! sagte M., als ich vorschlug, ich würde auch mein Stadtrad nehmen, um es ihm nicht unnötig schwer zu machen. Nimm das Rennrad! Ist er gleich angefixt.

Dean schaute zweifelnd auf die dünnen Reifen und bestieg sein Froschrad samt gelber Satteltasche.

Ich lernte an diesem Tag, ich habe Vorurteile gegenüber Menschen, die nicht ganz so sportlich wirken. Zum Beispiel hinsichtlich des fahrerischen Könnens. Dass etwa unabsichtlich nach links gefahren wird, sobald der Blick nach links wandert. Dean musste also vor mir herfahren und sich dann umdrehen. Links, rechts, nochmal links. Er hielt die Linie Eins A.

Als nächstes die wichtigsten Handzeichen. Es war nicht zu erwarten, dass wir einen belgischen Kreisel veranstalten würden, aber es konnte nicht schaden, wenn er wusste, was die Gesten bedeuteten, die manchmal automatisch kommen. Lässig wedelte er mit der Hand hinter seinem Rücken herum, ohne den Lenker zu verziehen.

Schließlich das durchgehende lockere Kurbeln, damit das Ganze etwas sportlich wurde. Das war noch ungewohnt, erforderte ab und an eine Erinnung. Währenddessen quatschten wir über alles, was uns so einfiel, und am Ende hatten wir über 30 Kilometer geschafft. Nächstes Mal ein bißchen weiter, ja gern!

Ich probierte kleine Strecken, von Mitte aus möglichst durchs Grüne an den Stadtrand, von wo wir die S-Bahn zurück nahmen. Wir fuhren am Landwehrkanal entlang, an Unkraut-überwucherten brachliegenden Feldern, kamen durch seltsame Industriegebiete. Dean überließ es mir und hatte Spaß an Gegenden, die er nie gesehen hat (ich im Übrigen auch nicht).

Und an meinen Einwürfen. Ich weiß nicht, ob das mit dem Knie morgen geht, schrieb er mir. Das fährt sich raus, schrieb ich zurück. Heute Abend bin ich bei dieser Feier und weiß noch nicht, ob ich fit bin. Musst du wissen, schrieb ich. Von nichts kommt nichts!

Wir kamen in einen Rhythmus. 33 Kilometer hier, 35 da. 50 Kilometer verabredeten wir, das schaffen wir eines Tages! Das Doppelte geht eigentlich immer. Eine Königsetappe um den Werbellinsee hatte ich geplant, Sehenswürdigkeiten und Einkehr inklusive.

Ich mochte, wie ernst und leicht zugleich er es anging. Zum Beispiel, wenn er mich verschmitzt hinter sich winkt, wenn wir gerade mit 17 km/h den Kiesweg an der Spree entlang fahren. Wenn er mir ein Foto schickt von sich vor dem Rapha-Store in London, den ich vor seinem Trip erwähnt habe.

Und Dean brachte mir auch Sachen bei. Zum Beispiel, dass es enorm gut tut, zwei Stunden locker zu kurbeln, wenn ich in den Tagen vorher die Beine kaputt gefahren habe. Sind viel schneller wieder in Ordnung, als wenn ich gar nicht fahre. Dass ich die langsamen Einheiten mit ihm mache, wurmt ihn ein bißchen, aber ich weiß tatsächlich nicht, wie ich das ohne ihn herausgefunden hätte.

Und dann der Stolz. Dean feiert mehr als all meine Freunde zusammen meine Teilnahme an irgendwelchen Radmarathons. Schlägt vor, Urkunden zu rahmen und im Büro aufzuhängen. Freut sich, wenn ich vor den Kollegen angebe. Wenn man Durchhalten für sich meist als das Mindeste ansieht, tut es gut, wenn ein anderer hin und wieder über das Geschaffte ehrlich staunt.

Letzten Samstag war es wieder soweit. Mittellang sollte es werden, das Knie wieder. Wir fuhren quer durch die Stadt. Hasenheide, Teltow-Kanal, Ostkrone. Hatten uns eine Weile nicht gesehen und einiges zu erzählen. Das ist immer gut, es lenkt ab. Beim Halt an der Müggelseepromenade fragte ich ihn, was sind wir gefahren, was meinst du. So 10, 15? Er hatte seinen Radcomputer vergessen. Schon 25!

Ein paar Kilometer weiter ging es mit der Fähre über die Spree, noch vor halb elf am Morgen. Nach 30 Kilometern passierten wir die S-Bahn-Station Rahnsdorf, ein paar Regentropfen fielen. Aber Dean wollte noch weiter, über die Dörfer trudeln, das Landleben bestaunen. Im Schloß-Café Schöneiche gönnten wir uns eine Frühstückspause, Eier und Käsekuchen.

Bei Hoppegarten geht es über Pflaster, ein wenig bergan. Dean nimmt Anlauf, stemmt sich in die Pedale. Kein Zeichen von Ermüdung. Ich muss plötzlich richtig treten! Und kurz vor dem Ziel, der S-Bahn Hoppegarten: Wieviel haben wir, was meinst du? 33 vielleicht? Nein, 41! Wir freuen uns beide, ich glaube, mehr als Froome am selben Tag über das Gelbe. Nachher vom Bahnhof aus noch zwei Kilometer nach Hause, längste Strecke bisher!

Am nächsten Tag schreibt er mir, ich bin gestern noch sieben Kilometer gefahren. Sauber, schreibe ich zurück. 50 Kilometer auf dem Froschrad, mit der gelben Satteltasche und dem zwei Kilo schweren Fahrradschloss. Geschafft, einfach so.

Unsere Königstetappe, die wird jetzt glatt ein bißchen länger. Das Doppelte geht eigentlich immer. Und von nichts kommt schließlich nichts!