Draußen schlafen. Vor zwei Jahren konnte ich mir nicht mal vorstellen, in der Nacht rumzufahren. Jetzt rolle ich hier meinen Schlafsack aus wie eine von den Alten. Der Candy ist gut für Premieren. Aber ich wäre nicht halb so ruhig, wenn Harald nicht drei Meter weiter weg läge.
Irgendwann kommt der mit der Taschenlampe noch mal vorbei, aber wir machen ja nicht gerade Party hier. Gegen Morgen wird es wieder kalt, ich reibe die Füße aneinander. Wieder Vogelkonzert, Gesinge und Gezeter.
Um die Ecke der perfekte Bäcker. Kaffee, Rührei, Facebook. Weiter geht’s. Immer die Werra entlang. Die nächsten Dörfer, dann auf dem Radweg. Unbefestigt und unüberschaubar schlängelt der sich durch die Gegend, kurvt durchs Niemandsland. Eisenach noch nicht erreicht. Werra-Meißner-Kreis, schon erobert? Ich weiß es nicht, ich sehe kein Schild.
Was ich gerade hier mache, weiß ich auch nicht. Nach Berlin radeln, das ist noch ewig weit weg. Richtig schön wird es auch nicht. Temperatur ok, Landschaft ja. Kopf geht so. Wer bin ich? Wer ist dieser Mann da hinter mir? Will er über den Hainich, Spaziergänger umkurven, Steckenbleiben im Matsch? Ich hoffe nicht.
Bei Hörschel die Optionen. Dieser Mann will auch nicht in den Hainich. Ich esse von seiner Schokolade und bin froh. Den Werra-Radweg (exzellent beschildert) bis Mihla, dann über den Rennstieg. Serpentinen, es wird zu steil für den Riemenantrieb.
In Mühlhausen beim Griechen (Tzatziki, auch egal, ich habe seit Freitag die gleichen Sachen an) spricht Harald es aus: So schaffen wir es nicht nach Berlin bis zu meinem Termin morgen Abend um 18 Uhr. Ich könne vorausfahren und die Nacht mitnehmen, dann würde es noch gehen.
Oder morgen Mittag in den Zug sitzen.
Beides nicht gut.
Wieder die Dörfer, vorab besprochen, gleich vergessen. Allmenhausen, Wolferschwenda, lese ich vor. Kommt dir bekannt vor? Ja, aber ich weiß nicht mehr, ob wir da lang wollten. Vertrauteste Haltung auf dieser Reise (außer im Sattel): Harald steht über den Lenker gebeugt und schaut auf Garmin und Telefon nach der Strecke.

In weichen Wellen liegt die Landschaft vor uns, weite Blicke über die Hügel, so schön. Alle Landkreisschilder winken wir lässig durch („das hat Jesko!“, „das Kaliumchlorid!“). Stattdessen muss Harald mich vor Ortsnamen fotografieren, die meine Freunde erfreuen könnten.
Günstedt. Heldrungen. Artem, das gar nicht so heißt. Ich will rein in diesen Ort, ich denke an Kuchen, Sonntag Abend um sieben auf dem Lande, nichts. Schmalzerode kann ich mir merken. Irgendwann geht es auch wieder hoch, ich komme nicht mehr hinterher, trotz des Riemens, was ist das hier.
Eisleben unter uns ist ein Großstadt-Moloch, ein riesiges Lichterfeld im Tal, angeblich Fast Food. Harald leitet uns über eine winzige Straße mit Sackgassenzeichen den Berg hinunter, er wird es schon wissen.
Unten zerren wir die Räder über eine Baustelle, an der nächsten Ampel Licht. Und Auswahl: Burger King, McDonalds.
Ich muss der erste Mensch sein, der hier jemals Tee bestellt. Nach der zweiten Portion Pommes wird es besser. Harald scoutet den nächsten Sportplatz. Sportplätze sind der neue Wald!
Und genau dort, als ich meine Hände in den bescheuerten Dyson-Trockner stecke, bin ich mir plötzlich sicher. Ich kann morgen nicht in den Zug steigen, Termin hin oder her. Ich bringe das jetzt mit Harald zusammen zu Ende. Alles andere ist undenkbar.
Unser Nachtlager liegt etwas außerhalb an einer ruhigen Straße. Einsam und verschlossen. Und nun? Harald, der Schlafplatzfuchs, drückt die Klinke. Doch offen!
Der Hauseingang vom Vereinsheim ist vielleicht ein bißchen klein für zwei Fremde, aber warm und windgeschützt ist es dort. Ich liege noch lange wach. Aufgedreht von Eindrücken, vielleicht auch von den vielen Pommes. Am Morgen verschlafe ich das Vogelkonzert.

Es ist regenverhangenes Rapha-Wetter an unserem letzten Tag. Es sind 30 Kilometer bis zum Kaffee, zurück in die Stadt fahren wir deswegen nicht!
Könnern sieht auf der Karte gar nicht so klein aus, aber der Ort ist leer und verlassen. In einer kleinen Passage finden wir den Bäcker. Weltklasse-Einback. Vielleicht ist’s auch vom Fahren.
Zurück von der Toilette haben wir Besuch. Matthias aus Halle, Radbekanntschaft von Harald, hat sich extra auf den Weg gemacht. Wie nett! Hatte ich mich doch schon gewundert, dass wir die letzten zwei Tage ganz allein unterwegs waren. Noch 180.
Gerlebogk, Kleinwülknitz, auf dem Candy-Track durch Köthen. Kein Dorf passt mehr in meinem Kopf. Dafür fällt mir ein, dass ich gegen den Matsch am ersten Tag einfach den Müllbeutel über den Saddle pack hätte ziehen können statt innen rein, und gut wär‘ gewesen. Dass ich die Fehlausche Daunenjacke um meine frierenden Beine hätte wickeln können, statt sie bei 2 Grad als Kopfkissen zu verwenden.
Auch untereinander sind wir bei wichtigen Themen angekommen. Wäre ein Candy B. Road innerhalb des Flugkorridors möglich? Warum sind Saftbären teurer als Gummibären, trotz der niedrigeren Dichte? Haben wir Bad Langensalza weiträumig genug umfahren?
Irgendwo steht eine Bierflasche auf dem Gehsteig. Berlin kann nicht mehr weit sein.
Der Nieselregen ist mir auch völlig egal. Das ist sauberes Wasser, das können die gern auf mich schütten!
Osternienburg, Mosigkau, der Radweg um Dessau herum. Ein anderer Follower hatte uns das Forsthaus Falkenau an der Strecke empfohlen. Leider zu. Dann wird eben Coswig unser Ding. Noch so ein trauriger Ost-Ort. In der Oase Ali bestellen wir Auflauf und Pizza Hawaii und alle vorrätigen Getränke.

Längst bin ich in diesem Modus, wo ich irgendwas daher rede, ohne darüber nachzudenken, wer mir da eigentlich zuhört. Längst höre ich am Rauschen vom Soma Wolverine, wie weit Harald von mir entfernt ist. Obwohl es zunehmend vom Quietschen meiner Kette übertönt wird. Ich will noch einmal Kopfsteinpflaster für ein Foto. Candy B. Pavé.
Verspreche uns einen langweiligen, aber guten Radweg nach Berlin ab Treuenbrietzen, entlang der B2. Heute kein Bad Belziger Seniorenheim für uns.
Die Diagonale nach Berlin zieht und zieht und zieht sich, wir rumpeln voran, na na, von wegen guter Radweg. Michendorf, singe ich. Harald lacht. He, das ist Heimkommen! Dass man einfach irgendwo auf sein Rad steigen kann, ein paar Tage fährt und zuhause ist. Das kriegt mich jedesmal.
Bei Potsdam wird der Himmel golden. Sogar Harald taut etwas auf. Es ist schön, zusammen hier anzukommen. Und richtig.
Jetzt nur noch die Krone rauf, durch die Unterführung bei der S-Bahn und im Dunkeln durch irgendwelche Parkanlagen, Poller, Kette über dem Weg, aufpassen! Nach all dem unbeschwerten Geradeaus die letzten Tage nervt es mich doch noch.
Und dann biegen wir am Tempelhofer Luftbrücken-Denkmal ein. Montag 22 Uhr ist es geworden, alles dunkel. M. steht da und macht den Blinklicht-Empfang. 76 Stunden nach Abflug ist der erste Candy B. Road Geschichte.
***
Tags darauf habe ich Ferienlager-Blues. Nach drei Tagen und Nächten gemeinsam unterwegs kennst du jemanden womöglich noch immer nicht sehr gut, aber sich an den gewöhnen, das passiert halt trotzdem.
Am Ende ging alles schnell: Fotos, ein bißchen Geplänkel, Care-Paket und Gummi-Teufel-Reste wechseln die Besitzer. M. und ich radeln durch die nächtliche Stadt zurück in den Alltag, das Team Soma verstreut sich in alle Winde.
Es war dann auch mal gut. Trotzdem hätte ich Harald gern noch gesagt, dass er mir so gar nicht auf die Nerven gegangen ist. Einige Menschen werden das wieder nur lustig finden. Für mich ist es eins der größten Komplimente, die ich machen kann.
Aber genug gesabbelt. Geht Radfahren!
Die wichtigen Links:
- Track zum Candy B. Road auf Komoot
- Haralds schöne Fotos
- Candy B. Graveller offiziell
- Landkreischallenge

© Jesko von Werthern
24/04/2018 at 19:44
Ach schade, ich hatte irgendwie auf 3 Teile gehofft. Aber wenn genug gesabbelt ist, dann ist genug gesabbelt.
Danke für die tollen Tage, es war mir ein großes Vergnügen!
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24/04/2018 at 21:49
Stoff hätte es noch gegeben – der Lurch! Grün anfordern! Oder das lustige Männlein auf dem E-Bike 🙂 Aber dann wäre ich vielleicht morgen schon mit dem Rad bei dir vor der Tür gestanden und hätte das Weiterfahren erbettelt 😉
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25/04/2018 at 14:07
Komm rum! Ich nehme erfreut zur Kenntnis, dass du dir weitere Touren mit mir vorstellen kannst. 🙂
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25/04/2018 at 21:20
Vor allem, wo deine Gravelkarriere nun doch weitergeht … 😉
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24/04/2018 at 20:04
Ihr zwei … habt das richtig gut gemacht. Und es war wie immer ein Vergnügen, Eva, die Lektüre!
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24/04/2018 at 21:51
Jochen 🙂 Danke. Schade dass wir uns nicht mehr gesehen haben. Freue mich auf ein paar Zeilen von dir. Hoffe, es ist noch was übrig jenseits von dem, was Harald mir unterwegs aus Facebook vorlas. Liebe Grüße!
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25/04/2018 at 5:00
Da mir die Ehre der namentlichen Erwähnung zukommt, muss ich mich als stiller Leser deiner tollen Texte echt mal vor dir verneigen. Schließlich hast du dadurch mich zur Challenge angestiftet und gerne hätte ich dich in Berlin auch mal persönlich getroffen.
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25/04/2018 at 8:02
Hallo Kaliumchlorid, danke für deine Meldung, ich freue mich ja immer, stille Mitleser (oder auch Mitbewerber) „kennenzulernen“. Wir haben uns wohl an der Kreisgrenze Goslar um einen ähnlich knappen Zeitraum verpasst wie in Berlin – Fulda ist somit ausgeglichen 🙂 Dir weiterhin gute Fahrt!
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25/04/2018 at 15:22
Wie sagte schon ein alter weiser Japaner: „Kein Weg ist lang mit einem Freund an seiner Seite“. Nun ist Freund ein großes Wort, aber wenn man sich drei Tage und Nächte auf engstem Raum nicht auf die Nerven gegangen ist, ist das doch auf jeden Fall eine gute Grundlage!
Es war mir eine Freude eure Tour anhand Facebook, Instagram und co. und besonders nochmal hier in Deinem Blog miterleben zu dürfen!
Viele Grüße aus Duisburg an HH und B!
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25/04/2018 at 21:25
Fein gewählte Worte, Markus. Ja, man weiß nicht so recht, was man einander ist, aber wenn es so gut funktioniert ist das auch ziemlich egal.
Schön dass du „dabei“ warst. Habe deine Grüße unterwegs registriert 😉 LG nach Duisburg!
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25/04/2018 at 18:21
Eine schöne gemeinsame Tour und Danke für den tollen Bericht!👍
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04/05/2018 at 18:14
„Ich krame. M. hätte sicher Zustände bekommen“ – das kommt mir sowas von bekannt vor … H. bekommt regelmäßig Zustände, lässt sich das aber zum Glück (fast) nie anmerken … nur etwas später sarkastisch „hmmhmmm verstehe nicht, warum das schon wieder 20 Minuten waren …“
Und ich fahre zwar mal eine Nacht durch oder kurz irgendwo übernachten (Hotel, Turnhalle von Veranstaltern,…), aber irgendwann wird es auch auf uns zukommen: eine Nacht im Freien. Kann es mir aber überhaupt nicht vorstellen … Ich wüsste schonmal nicht, wohin mit Unterlage und Schlafsack … was für einen Schlafsack überhaupt? Meiner ist definitiv zu groß … Biwaksack? Der gibt ja garnicht warm …
Klasse Bericht, Eva!!!! Ich muss immer lachen, wie du die Dinge mit trockenem Humor auf den Punkt bringst und dann auch noch bei dem nassen Wetter … hahahaaa!
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04/05/2018 at 19:11
Danke Gabi! Ich finde ja, es gibt ein weibliches Vorrecht auf Kramen 😉
Das mit der Schlafausrüstung war leichter als gedacht: Ich habe eingepackt, was M. hatte und was in meine Lenkerrolle passte, und dafür die Wechselklamotten daheim gelassen. Dummerweise passte nur der Sommerschlafsack in die Rolle 🙂 Den Biwaksack überlege ich zugunsten eines dickeren Schlafsacks künftig wegzulassen, der hat nur Feuchtigkeit gestaut. Der höfliche Harald hat mir außerdem eine dünne Plane zum Unterlegen überlassen, die war sehr nützlich.
Und ein bißchen lustig ist schon, dass wir jede Nacht fast länger gerastet haben als ich bisher auf langen Fahrten im Hotel. Es war einfach ein wirklich schönes Abenteuer, dieser Pionier-Road-Candy!
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04/05/2018 at 19:25
Muss mir mal ein Foto von deinem Flitzer gut anschauen… Bikepacking buch hab ich schon. Aber wenn ich da alles einpacke, was der Autor vorschlägt, dann brauche ich einen nachhänger…
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04/05/2018 at 19:35
Ha, das glaube ich. Feuerwolle nicht vergessen! 🙂
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04/05/2018 at 19:26
Ach ja danke für die Tipps!
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24/05/2018 at 7:31
Großartige Tour, toller Bericht und wunderschöne Bilder!
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24/05/2018 at 8:05
Danke. Ja, hätte den Harald gern öfter dabei – schon allein als Fotografen!
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05/06/2018 at 16:27
Huhu,
oh auch den Kyff(er)häuserkreis und Umgebung besucht. Da kommt der „Endspurt“ Alex her.
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06/06/2018 at 8:16
Ah, lange nicht „gesehen“. Hoffe, es geht gut!
Am Kyffhäuser war ich kurz danach auch noch mit M.. Schöne Gegend, nur mussten wir sie mit 300 bekyfften Motorradfahrern teilen…
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11/10/2018 at 17:48
Hallo,
was für ein schöner Bericht! Dann ist ein CBG Road ja eine erste Variante des CBG. Und schon fängt das Naturwissenschaftler-Hirn an zu rattern, um sich weitere Varianten auszudenken:
– da gibt es ja noch den Ausflugkorridor…. Nach groben Karten der Luftbrücke über Magdeburg, Braunschweig, Fritzlar nach Frankfurt. Wenn man sinnvoll Straße fahren kann, ist es von Braunschweig über Göttingen, Kassel, Fritzlar an Flüssen lang wahrscheinlich erträglich, bevor der Rest durch die Mittelgebirge höhenmeterlastig ist. Einen Track direkt unter dem Flugkorridor zu fahren ist bestimmt häßlich, Begleitmusik Jimi Hendrix Voodoo Chile (Slight Return), und erst recht bei einer Frankfurt – Fankfurt Super-Rundstrecke…..
– was aber nicht weit bekannt ist, ist daß es noch ein drittes Luftbrücken-„Krallen“-Denkmal gibt, bei Celle-Wietzenbruch am Flugplatz. Könnte man auch anfahren.
– oder als Rundfahrt ab Berlin durch den Ausflugkorridor und nach Celle abbiegen und dann über den nördlichen Anflugkorridor wieder zurück. Vielleicht weckt das den Ehrgeiz der Langstreckler?
Gruß aus dem wohl am weitesten von der Hauptstadt entfernten Wahlkreis!
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