Hin und wieder werde ich gefragt, wer das eigentlich sei, dieser Coach, der in meinen Berichten gelegentlich auftaucht. Der Coach ist mein Vater, und natürlich coacht er mich nicht im eigentlichen Sinne, wozu bräuchte ich mit meinen Genussradler-Ambitionen auch einen Trainer.

Aber ich kann mit niemandem so gut über das Radfahren reden. Ich glaube, der Rekord liegt bei einem zweistündigen Telefonat nach dem Alpenbrevet (M.: „Worüber quatscht ihr nur die ganze Zeit?“).

Wie schreibt man über seinen Vater? Wie schreibt man überhaupt über einen nahen Menschen, ohne dass man vor allem über sich selbst schreibt?

In der letzten Zeit habe ich festgestellt, dass ich gern von meinem Vater als Triathleten erzähle. Wie es ihn mit 40 auf eine berufliche Reise nach Hawaii verschlug und er am letzten Tag zufällig beim Ironman zuschaute. Zusammen mit einem Kollegen kehrte er begeistert nach Hause zurück mit der Idee, auch einmal so einen Wettkampf namens Triathlon zu versuchen. Er suchte zunächst eine Schwimmgruppe auf, um überhaupt erst einmal richtiges Kraulen zu erlernen. An die Ironman-Distanz verschwendete er keinen Gedanken, so abwegig erschien die.

Vier Jahre später ging er in Hawaii an den Start und gelangte nach vier Kilometern im Wasser, 180 Kilometer auf dem Rad und einem Marathon in dieser brütenden Lavalandschaft ins Ziel. Ich erzähle den Leuten immer, innerhalb von zehn Stunden, und hier würde er mich korrigieren und sagen, er habe elf gebraucht. Zehn Stunden waren es bei der Qualifikation in Roth ein paar Wochen zuvor. Er nimmt es gern sehr genau.

Mein Vater war also (und ist immer noch) ein sportlicher Mann. Eine meiner ersten, sehr klaren Erinnerungen ist, wie er mit uns Kindern Rollschuh lief, im abendlichen Schein einer Straßenlaterne. Es ist vermutlich gar nicht so gewesen, aber ich sehe im Hintergrund die Nachbarsväter, die mit Aktentaschen und ernsten Gesichtern zu ihren Familien zurückkehrten. Er besaß lange vor seiner Triathlon-Zeit ein schwarzes Peugeot (das er auch fuhr), die Familie ging am Wochenende Wandern und zum Skilanglauf.

Das war nicht immer spaßig. Mein Vater ist, könnte man sagen, ein Mensch mit Anspruch. Und mit einem ausgezeichneten Fettstoffwechsel. Ab und an führte das fast zu Revolten. Es gab legendäre Unternehmungen, etwa eine ganztägige Tour über sieben Hügel mit einer Tafel Milka für die vierköpfige Familie. Dazu grundsätzlich unkorrekte Angaben über die jeweils verbleibende Strecke, es war immer „nicht mehr weit“.

Einmal tranken meine Kusine und ich bei einer Besteigung eines Berges in Norwegen aus einer Pfütze, weil kein Getränk zur Hand war (keine Seltenheit). Ich glaube, er hat das damals gar nicht mitbekommen. Aber es kam nicht von ungefähr, dass solche Dinge ihm zugeschrieben wurden. Auf dem Gipfel angekommen hieß er dann die besser ausgestatteten Kinder der Verwandtschaft ihre Vorräte auspacken, denn „auf dem Berg wird alles geteilt“.

All diese Sprüche, all die Geschichten. Man könnte Akten damit füllen, dicker als seine viel studierten Ergebnislisten-Ordner.

Am ungnädigsten, das muss man ihm lassen, war er jedoch gegen sich selbst. Mein Vater hat eine lustige, eine gesellige Seite. Kaum ein Foto, auf dem er nicht lacht. Nicht so beim Wettkampf, wenn es ihm um das Ergebnis ging. Aufgeben, zum Beispiel weil es gerade das Vernünftigere wäre, das existierte damals überhaupt nicht.

Das ist eines der wenigen Dinge, in denen er mir sportlich gesehen kein Vorbild sein konnte. Er hat es wohl erst in späteren Jahren gelernt, und heute bin ich fast schockiert, wenn er mir mal vorschlägt, wegen irgendwelcher Einschränkungen eine kürzere Strecke zu wählen.

Waren wir zusammen auf dem Rennrad unterwegs, spielte das Ergebnis allerdings keine Rolle. Dann ging es um die geteilte Begeisterung für eine abwegige Kilometeranzahl, um das gemeinsame Fahren und Ankommen. Und wenn es nicht mehr ging, etwa das Ötztal entlang, diese verfluchte ewig ansteigende Strecke, dann konnte ich mich darauf verlassen, dass er auf seinem Kestrel vor mir im Wind hing. Seine Kräfte schienen unerschöpflich. Und wer kann schon von sich behaupten, mit seinem Vater den Ötztaler gefahren zu sein? („Zweimal!“ würde er mir jetzt zurufen. Um ganz genau zu sein.)

Die menschlichen Kräfte sind bekanntermaßen nicht unerschöpflich. Im letzten Jahr gab mein Vater den Ärzten ein bißchen was zu tun. Aus Sicht der Experten reine Routine, aber da liegt dann einer so schmal und hilflos in seinem Krankenhausbett, denn man sein Leben lang nur als Dauersportler kennt. Alles plötzlich nicht mehr lustig.

Er berappelte sich. Eigentlich überflüssig zu erwähnen, dass er die Genesung mit Elan anging. Tägliche Rekorde auf dem Trimmrad, faszinierte Physiotherapeuten, er ließ sämtliche Altersklassen weit hinter sich. Ich glaube, die standen Spalier, als er die Klinik verließ. „Das Wunder vom Vincentius“ hätten mein Bruder und ich wohl gelästert, wenn uns in der Zeit nach Lästern gewesen wäre.

Vor ein paar Monaten schrieb er eine mürrische Nachricht, dass er für die 60 Kilometer auf dem Rennrad immer noch zweieinhalb Stunden brauchte. Da wusste ich, mit ihm ist wieder alles in Ordnung.

Und darüber kann ich nur froh und dankbar sein. Denn über das Radfahren, da ist nun wirklich noch längst nicht alles gesagt!