Mit dem Schreiben, da ist es ja wie verhext. Kaum notiert man, dass Mentaltraining Humbug sei, kommt gleich ein Tag daher, der einem das Gegenteil beweist. Gewährt einem einer Asyl an der Wegstrecke, muss man nur denken, von da sind’s doch keine 30 Kilometer mehr, das werde ich kaum brauchen, schon liegt man auf dem Asphalt.

Es war ein blöder kleiner Haufen Laub auf einem schiefen Stück Weg, feucht und tückisch. Abgang zur Seite, volle Länge, mein Paradestück (ich schreibe jetzt nicht, „glücklicherweise immer nur auf diese Art“, sonst kommt es demnächst garantiert zu anderen Sturzformen). Auf die Beine kommen, wenn man kann, die besorgten Autofahrer weiter winken, man kommt sich auch etwas dämlich vor, Rad checken, da ist nichts, oder? und schnell wieder rauf, wacklig und langsam.

Da ist doch was, es klickert so leise. Absteigen, gucken. Da ist nichts. Noch langsamer weiter. Es klickert immer noch. Vielleicht klickert’s nur im Kopf. Da war der Helm, aber trotzdem. Es brennt ganz schön, dort wo Fleisch und Knochen auf dem Asphalt landeten. Und es sticht tief in den Rippen. Tyler Hamilton, schießt es mir durch den Kopf. Schlüsselbeinbruch und die Etappe zu Ende fahren, händchenhaltend mit Riis (der im Auto) ins Ziel. Ich hatte nur kein Epo vorher, obwohl die Beine sich anfühlen, als hätten sie welches gehabt (wenigstens das!). Die Rippe fühlt sich dagegen an, als hätte jemand ein Messer dazwischen gehauen.

Zwei Tage später ist es eher schlimmer geworden. Niesen, Schnaufen, Lachen, aua. Laut Google kann das jetzt Wochen so gehen. Ruhig halten, keinen Sport machen, helfen soll nix. Und weil ein Herbst ohne Radfahren trist wie nur wenig erscheint, und weil es draußen dunkel und auch sonst gerade wenig spaßig ist, trinke ich ein Bier. Und noch eins. Und noch eins. Und noch eins. Und noch eins.

Der Ex-Kollege A. nimmt es wie immer von der sachlichen Seite. Ob ich einen Wert ermitteln könne, nach wie vielen Kilometern ich im Schnitt stürze. Ob es dazu Forschung gäbe. Ich rechne herum, bei mir passiert es wohl alle vier bis fünftausend Kilometer. Im Netz finde ich nichts.

Dafür lerne ich andere Dinge. Zum Beispiel, dass ich ganz schön häufig lache, trotz der allgemeinen Unspaßigkeit. Aua. Dass ich mit einem alten Bekannten synchron Zurück in die Zukunft nachsprechen kann. Dass sich mit dem neuen Chef (inzwischen auch der etwas abgenutzt) im richtigen Moment hervorragend einige Flaschen wegziehen lassen. Der richtige Moment ist passenderweise gerade mehrmals in einer Woche.

Trinken, lerne ich, ist gar nicht so viel anders als Radfahren. Hinter der Wattewand finden sich bodenlose Wahrheiten und momentanes Glück, und es ist anzunehmen, dass man dabei ziemlich bescheuert aussieht. Am Ende legt man sich ins Bett und hofft, am nächsten Tag sei alles besser, was selten aufgeht.

Ein Kollege ist der Meinung, ich vertrage deswegen mit einem Mal so viel, weil mein Metabolismus (sein Wort!) durch das viele Fahren drauf getrimmt sei, alle Stoffe in Höchstgeschwindigkeit abzubauen. Das widerspricht wiederum der Annahme, dass man als Sportler weniger Gewicht und Körperfett haben sollte, auf das sich der Alkohol verteilt.

Alle Theorie hilft nichts. Drei Biere später tut die Rippe immer noch weh. Je suis Tyler. Nächster Tag, nächste Runde. Wenigstens kann ich mich eingeweiht fühlen. Endlich ein echter Rennradfahrer. (M., als ich von dem jungen Kerl beim Bikefitting erzählte, mit den von Stürzen verschorften Knien und Ellenbogen: „Was ein Angeber!“)

An einem Sonntag wache ich auf, und plötzlich ist es vorbei. Mit dem Bier, mit dem neuen Chef, und Zurück in die Zukunft ist auch schon seit dreißig Jahren aus dem Kino. Nur die Rippe, die muckt weiter. Und die Räder stehen auffordernd herum. Eine winzige Runde, denke ich, den Oberkörper ruhig halten kann ich doch dabei auch.

Still ist es, fahle Sonne, knackig kalt, ein Wintertag wie aus dem Bilderbuch, dabei ist noch nicht mal Winter. Auf dem Laub liegt der Raureif wie fein gesiebter Zucker, das Jaegher und ich tasten uns sehr vorsichtig darüber.

Aber dann, die gleichmäßigen Bewegungen, dieses stete Arbeiten der Beine. Eigentlich ist das alles was ich brauche.

Ich bin schon am Stadtrand, da kehre ich noch einmal um. Kleine Wege erkunden, an denen ich sonst vorbei fahre. Den Gänse auf der Weide zurufen, dass sie bald fällig sind. Die Kälte in den Zehen gutheißen. So ein Tag, der kommt vielleicht nicht so schnell wieder. Und irgendwie sind das sowieso die besseren Umdrehungen.

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Den Titel „Mehr Bier“ habe ich bei Jakob Arjouni geklaut, dessen Detektiv Kayankaya in Frankfurt am Main ermittelt, mit besonderem Gruß an meine jüngste Abonnentin P.! Eigentlich wollte ich den Post „Bottle Count“ nennen, in Anlehnung an Jörns Rubrik „Rib Count“, deren Sinn sich mir in den letzten drei Wochen neu erschlossen hat. Aber das wäre dann wieder so kryptisch gewesen, und manchmal muss das Leben klar sein wo es nur geht.