Freundin A. arbeitet in einer kleinen Druckerei. Vor einiger Zeit brachte sie eine Karte mit. Auf der Vorderseite eine zarte Zeichnung. Ein Radfahrer fährt schwungvoll einen Hang hoch. „Pedalo, ergo sum“, ist als Spruchblase zu lesen. Signiert von H. Stark in Certaldo.

Ich meinte mir ungefähr vorstellen zu können, wie dieses kleine Kunstwerk entstanden ist. An einem milden Abend nach einer Ausfahrt, mit zufriedenstellend glühenden Beinen und einem Glas Rotwein auf einer Terrasse in der Toskana. Pedalo, ergo sum. Reines radfahrerisches Glück!

Als ich die Karte aufklappte, stelle ich fest, die kleine Skizze schmückt eine Traueranzeige. Es war der Zeichner selbst, der verstorben war. Und obwohl ich keinerlei persönliche Verbindung zu Horst Stark oder seinem Umfeld habe, hat mich das seltsam berührt.

Man darf sicher davon ausgehen, dass das Motiv mit Bedacht gewählt wurde. Ich stellte mir einen Menschen vor, der das Radfahren sehr geliebt haben muss.

Eigentlich wollte ich im vergangenen Winter schon etwas dazu schreiben, aber dann kam einiges dazwischen, und so befindet die Karte sich seitdem dauerhaft auf meinem Küchentisch, aufbewahrt zwischen zwei Seiten eines Notizblocks, und fällt mir immer mal wieder in die Hände.

Mein Jahr war beruflich gesehen nicht das Einfachste. Wenn ich das überhaupt so sagen kann. Lebe ich doch in diesem wohlständigen Land und bin mit allem wirklich Notwendigen mehr als versorgt. Wenn es darum geht, dürfte ich mich wohl nicht mal über eine getroffene Rippe beklagen. Und dennoch: Veränderungen, Abschiede, nicht alles davon habe ich gut weggesteckt.

Aber auf dem Rad, da hatte ich oft Glück. Das Offensichtliche: Wenig Pannen, nichts Gravierendes. Von Schlimmerem ganz zu schweigen. Ich habe einige Male sehr gefroren, aber das ist im größeren Kontext nicht erwähnenswert. Ich war hin und wieder desorientiert, wohin ich mit all dem will, aber geschenkt.

Der Punkt ist, das Radfahren liefert eigentlich immer. Die Woche kann noch so anstrengend und unangenehm gewesen sein. Sattle ich Samstag morgens auf, fahre raus aus der Stadt, lasse den Blick übers weite Land schweifen und finde den Rhythmus, dann ist nach einer Stunde alles gut. Ist wieder Luft in den Lungen und Farbe in den Dingen.

Es mag an der Bewegung liegen, am Sauerstoff. Am riesigen Spaß, schwerelos dahin zu gleiten, wenn der richtige Rhythmus gefunden ist. Das Gefühl, aus eigener Kraft heraus Distanz zu machen (und M. danach auf der Straße zu treffen, der lauthals lacht, wenn ich sage, kleine Runde heute, nur 75).

Und an der Unabhängigkeit. Auf dem Rad, da ist keine Manipulation, kein leeres Gerede, kein Gefallen müssen. Kein Werten, kein Drohen, kein Wenn und Dann, außer natürlich gegenüber den Beinen. Da schweigt alles, bis auf den inneren Antrieb. Da ist’s Wollen statt Müssen. Da kommt alles nur von innen heraus.

Ich finde es nicht selbstverständlich, so etwas im Leben zu haben. Aber Dinge, die einfach so da sind, und die vor allem so einfach sind, sind ja gern nicht ständig präsent.

Diese kleine Zeichnung erinnert mich immer mal wieder daran. Vor allem das „Pedalo, ergo sum“. Besser kann man’s kaum sagen, finde ich. Danke, Herr Stark. Auf die nächsten Kilometer. Ich fahre ein paar für Sie mit.

***

Vielen lieben Dank an Herrn Friedrich Stark, der mir gestattet hat, die Zeichnung auf meinem Blog zu veröffentlichen. Davon unbenommen liegen alle Rechte am Bild bei den Angehörigen.