Keine Woche nach dem North Race Westphalia suche ich nach einem neuen Event. Für das restliche Jahr habe ich nichts geplant. Aber es ist erst Juni, und das kann‘s auf keinen Fall gewesen sein. Liége – Paris – Liège sticht mir ins Auge. Ein unsupported 1.111-Kilometer-Ultracyclingrennen mit 12.000 Höhenmetern. Über Dinant und Laon mitten hinein in die französische Hauptstadt, über Reims, die Ardennen und die Eifel zurück. Mach ich das? Zwei Tage später ist Meldeschluss.
Nach dem NRW komme ich erstmal nicht aus dem Knick. Dann regnet es viel. Ich fahre brav meine Intervalle und mache Core-Übungen. Diesmal schiebe ich die Planung so weit nach hinten, dass mein Vater irgendwann mehr über die Route weiß als ich.
Der Hinweg, 450 km, Mittwoch 18 Uhr
Am Tag vorher nehme ich den Zug nach Aachen. Gut zum Ankommen, aber ich habe viel zu viel Zeit mir schlimme Gedanken zu machen. Habe eine schönes Hotelbett und bin trotzdem gerädert. Wenigstens die Lektüre passt. „Der Schakal“ von Frederick Forsyth, Thriller von 1971 und erstaunlich lesbar. Der Protagonist reist nach Brüssel zu einem Passfälscher und durch „die häßlichen Vororte von Liège“. (Ob ich das Buch irgendwo lassen kann, fragt M. erschrocken. Das sei doch voll schwer. Was denkt er, dass ich das nachts im Bushäuschen lese?)
Am Start in der Auberge de jeunesse Simenon in Liège ist alles nett und organisiert und ich will mich nur verkriechen. Viel Auflieger, wenig Dynamos. Nur ein anderes Jaegher. Abendstart ist eigentlich nicht meins, hab ich erst kurz vor der Anmeldung realisiert. Doch nicht genug nachgedacht.
Entscheide mich kurzerhand für das neue Radhosenmodell, das vielleicht nicht sitzt. Nach einem einzigen Test über 150 Kilometer bin ich unsicher. Als wir uns vor dem Gebäude aufstellen, sind da richtig Menschen versammelt, die klatschen und Fahnen schwenken. Ich kriege es gar nicht richtig mit in meinem Tunnel. Irgendwo halten welche ein Schild, wir hätten schon zwei Kilometer geschafft. Nur noch 1.109.
Nach dem ersten kurzen Parcours durch die Stadt geht meine Strecke kompliziert hoch und runter. Etwa die Hälfte der Kilometer mussten wir selbst planen. Das Ortsende nach 22 Kilometern. Das ist ja wie in Berlin.
Ich radle über wellige Felder und fühle mich allein. Warum habe ich das gemacht? Ich bin mental überhaupt nicht vorbereitet auf 1.200 Kilometer. Klingt auf dem Papier immer so toll. Am liebsten würde ich nach Hause fahren. Aber vor morgen käme ich nicht heim, und ich hab auch schon so viel Geld ausgegeben. Okay. Aufzählen, was gut ist. Neue Landschaften sehen, raus aus dem Alltag. In Frankreich radeln! Und zwar noch keine nennenswerten Kilometer geschafft, dafür frische Beine.
Irgendwas klackt auf den Boden. Mein Hiplok-Schloss ist weg. Das fixiert sonst meine Food pouch. Jetzt wird die Schlaufe die ganze Zeit über den Lenker rutschen, na toll. Ich fahre zurück und finde nichts.
Ich gurke so vor mich hin. Trotz Wind aus Norden komme ich nicht schnell voran. Esse Bananenbrot-Würfel und bin froh, als ich den ersten Ravel erreiche, Radwege auf alten Bahntrassen, die ich großzügig eingeplant habe. Kann man nachts gut abrollen und die Arme kreisen lassen. Schulter hochziehen, den Kopf nach beiden Seiten, knick-knack, denke ich jedes Mal und finde es jetzt schon dämlich.
Nach 70 Kilometern ist es dunkel und ich halte an einem Imbiss. Die Leute starren mich an wie eine Außerirdische. Cola, Toilette, die Flaschen auffüllen. Die Hose macht keine Zicken. Finde mich schlau, weil ich in Dinant tatsächlich nichts direkt an der Straße finde. Erste gute Entscheidung.
Dort fahre ich den ganzen Ort hinunter, um an irgendeiner Stelle umzukehren und einen Berg hochzufahren. Zwischen zwei Felsnadeln kauert jemand auf der Straße, ich erschrecke zu Tode. Mediateam. Okay, das Foto ist schon mal nichts geworden. Um die Ecke am steilen Stück noch einer. Kann noch freundlich grüßen, hinter der Kurve muss ich vom Rad. Oben zum Abbaye, kurz halten, Beinlinge an, Meldung an das Triumvirat, und das Brötchen, das ich mir im Hotel heimlich belegt habe.
Auf nach Chimay. Bis morgen keine großartigen Höhenmeter mehr. Bin müde, der Tag war lang. Könnte mich gut hinlegen, aber zwei Häuschen sind schon besetzt.
Einer überholt mich, auf dem Ravel ist das Rücklicht lang vor mir zu sehen, das finde ich schön. Ein Tier flieht vor mir den Weg hinauf, ein graues Dreieck, es wirkt gehetzt, ich fahre langsamer. Als es endlich kapiert, dass es ins Gebüsch abbiegen sollte, erkenne ich einen Dachs.
Am Abbaye Notre-Dame de Scourmont, dem dritten Parcours, ist fast Andrang. Zwei kommen von der Seite und sind gleichzeitig mit mir dort. Ich hab noch ein gekochtes Ei vom Hotel-Frühstück. Auf der Bank könnte ich mich kurz mal ausstrecken. Einer der Fahrer fragt, ob er sich dazu setzen darf. Na gut, lege ich mich auf den Rasen. Kaum bin ich dort, liegt er auf der Bank. Na toll. Ein paar Minuten, dann zieht die Kälte in den Körper.
Direkt hinter dem Ort lande ich auf einem Feldweg, das kann es nicht sein. Zurück und außen rum. Es ist kalt, schon in dieser Nacht, ein pompöser Sternenhimmel. Dabei soll das noch die mildeste sein. Egal, kann ich jetzt nicht lösen. Frage mich, ob ich schon über die französische Grenze bin. Wann kommt ein Schild?
Irgendwann ist es hell, und ich bin vor Laon. Knick-knack.
Links die Mairie von Chambry, der kleine Park kommt mir so bekannt vor. Sollte dort nicht eine Toilette sein? Ich biege um, fahre zum zurückgesetzten Gebäude, probiere die Türen. Tatsächlich. Gesicht waschen, Flaschen füllen, fast wie neu.
An der Boulangerie Marie Blachère, die gerade so offen hat, Grand Crème, zwei Pain au Chocolat und Madeleines. Köstlich, und der Blick auf die Citadelle, hoch über der Stadt. Was ein Morgen!
Rauf über die „Rampe Saint Marcel“, der Name sagt alles. Ich schiebe. Oben schrecklichstes Pflaster, ich kapiere nicht, auf welchen Schleifen ich durch die Altstadt durch soll. Aber diese Kirchen, die Aussicht über das Land!





Nächste Etappe. Ich fahre weit nach Westen bis zum Canal Latéral à l’Oise, und dann nach Süden. Plus drei Kilometer mehr, dafür Höhenmeter gespart. Das bezahle ich mit Arbeit gegen den Nordwind. Wenn der so bleibt, kann der Rückweg ja heiter werden.
Lasse den Supermarkt in St. Gobain aus, der in Choisy-au-Bac muss reichen. Überhaupt werde ich gezielt einmal am Tag in den Supermarkt gehen statt alle 60 Kilometer. Auf dem Rad ist Zeit genug vorher zu überlegen, was ich brauche. Trinkjoghurt, riesige belegten Baguettes. Cracker für die Foodpouch. Es gibt 7er Packungen Haribo Roulette! Hinter der Waschanlage ziehe ich mein langes Unterhemd aus.


In Compiègne beginnt der Parcours durch Paris und bis nach Meaux. 170 Kilometer.
Dort schwant mir allmählich, dass flach nach Paris nicht unbedingt leicht nach Paris heißt. Senlis, ein mittelalterliches Städtchen, und eines der fiesesten Kopfsteinpflaster, das ich je erlebt habe. Schloss Chantilly, das nächste holprige Pflaster. Was ist das!? Die Alternative ist, das Rad über den Rasen zu zerren. Ich krieche entlang all der Chateaus, Schlösser, Herrenhäuser, die die Strecke nach Paris minutiös abklappert. Grandioses Sightseeing, grauenhaft zugleich.
Dazwischen ewig gerade Alleen durch den Wald, eine Kreuzung, wieder eine Allee.
An einer Bank halte ich an. Kurz die Augen zu. Danach eine Sandpiste. Sicher, dass das ein Road-Event ist?!
In Asnières-sur-Oise ein winziger Proxi. Wasser und eine Cola. Eine Flasche mit Etikett „Èva“ fällt mir in die Hände. Bin doch richtig hier.
Es geht jetzt hoch und runter. Es wird immer später. Längst steht fest, ich verzichte auf den MacDoof in Paris. Ich will nur noch die Metropole hinter mir haben.
Irgendwo im Wald buche ich ein Zimmer im Ibis Budget bei Chateau Thierry, 100 Kilometer hinter Paris.
Es ist schon 18 Uhr. Nach 24 Stunden grade mal 420 Km, und das trotz Rückenwind, und obwohl ich nicht mal geschlafen habe. Das hat alles viel zu lange gedauert. Aber so ist es nun.
Paris ist völliges Chaos, Ampeln scheinen nur unverbindliche Handlungsanweisungen zu sein. Ich stehe bei jedem Rot und passe auf wie ein Luchs.
Das Kopfsteinpflaster nach Montmartre, das ich gefürchtet hatte, ist ein Witz nach dem Tag. Ich radle das einfach hoch. Kein Mediateam, nur ein Mitfahrer, dem ich immer wieder auf den Buckeln vor Paris begegnet bin. You kill me on the climbs!, begrüßt er mich. Nett.
Ich muss weiter und will doch noch kurz innehalten. Einfach mal nach Paris geradelt, ist doch irgendwie cool!
Der Rückweg, 730 km, Donnerstag 20 Uhr
Nur noch lockere 100, sage ich mir. Die Route verläuft quer durch die Häuserviertel, ich kurve herum, nicht dass ich aus Versehen den Parcours verlasse.
Am Canal de l‘Ourcq ist der Radweg alle paar Meter von Abbrems-Strichen unterbrochen – tatam, tata-tam, tata-tata-tam. Auf der Karte wirkte das hier so einfach. Praktisch kurve ich ständig unter einer Brücke durch und wieder hoch, oder der Weg gabelt sich in Rad- und Fußweg. Irgendwann ist es so düster, dass ich nichts mehr sehe.
Einer holt mich ein, was, noch so weit willst du? Ja, danke für die Ermutigung. Es wird 1 Uhr werden, das hatte ich mir schon gedacht. Das Hotel hat eine24h-Rezeption. Aber trotzdem.
Meaux kommt mir verkehrsreich und gefährlich vor. Aus dem Städtchen heraus sind es fünf Kilometer Bundesstraße. Ich werde angehupt, viel Platz auf der Straße, ich hab trotzdem Angst. Dann wieder Landstraße, und immer noch 45 Kilometer.
Ich beschließe, nur noch alle drei Dörfer nachzusehen, wie weit es noch ist. Was war jetzt, Ussy en Marne?
Mich beschleicht ein ganz unangenehmes, unwirkliches Gefühl. Ich kann noch fahren, ich habe nicht das Gefühl, dass mir die Augen zufallen. Aber ich will das hier nicht mehr. Das muss aufhören, ganz bald muss es das.
Meine Flaschen sind schon lange leer. Ich werde im Hotel gechlortes Wasser aus dem Hahn trinken.
Über eine Baustelle, wieder Schritttempo. Ich verhandle viel mit dem Garmin und dem Radcomputer. Versuche so lange nicht auf den Kilometerstand zu schauen wie ich es nur aushalte. Und dann sind doch wieder nur fünf weg.
Ich schwöre mir, mich nie wieder in so eine Lage zu bringen.
Ich will nicht mehr radeln, aber anders komme ich nicht zu meinem Bett. Ich denke, wenn es nicht mehr geht, leg dich in ein Häuschen, Hotel hin oder her.
Solange da jetzt nicht 535 km steht, will ich es gar nicht wissen.
Irgendwo rauscht doch noch ein Brunnen, sogar mit Schild, eau potable. Ich trinke wie eine Verdurstende, schaue bei Komoot nach, trinke noch mehr. Nur noch 12! Damit kann ich leben.
Zähle sie einzeln hinunter, das Hotel ist direkt am Weg, über den Parkplatz zur Rezeption. Kann mein Rad direkt ins Zimmer schieben.
Wie wunder-wunderschön so ein Bett ist! Wie fein und duftend das saubere Laken!
Kurz nach sieben aus dem Tiefschlaf, trotzdem ausgeruht. Eins weiter ist die hochbewertete Boulangerie Ange. Madeleines, Brioche, ein belegtes Baguette. Kommt schon alles weg. Auf zu Parcours Nr. 6.


Was ein goldener Morgen an der Marne. Nach einem schwierigen Tag kommt immer ein guter. Irgendwo auf dem Flussradweg werde ich von der Orga auf Instagram getaggt. Ich sehe nach, offensichtlich bin ich zweite Frau, ich lache laut. Näher werde ich einer Platzierung in meinem Leben auch nicht mehr kommen. Ich bin einigermaßen zäh, aber auch langsam. Trotzdem habe ich großen Spaß daran.
In Damery wartet das Mediateam, fröhlich einmal hin und her über die Brücke, und auf nach Reims.
Der Parc de la Montagne de Reims ist vielleicht mein liebster Abschnitt. Es geht auf und ab, mit tollen Aussichten auf die Weinberge. Dann vorbei an den Anlagen der Rennstrecke Reims-Gueux. 60er Jahre Flair, der Schakal, Porschefahrer lassen sich ablichten, ich komme aus dem Knipsen nicht heraus.


Hinter Reims drückt der Wind aus Norden. 135 Km bis zum letzten Parcours. Vor einem Friedhof döse ich auf einer Bank, fülle die Flaschen auf. Bin zufrieden mit meiner Liegezeit, bin überhaupt zufrieden damit, wie ich alles handhabe.
An den Canal des Ardennes kommt der Wind nicht hin. Wo war der letzte Supermarkt? In Le Chesne, doch nicht verpasst. Baguette-Nachschub für die Nacht.
Über ein paar Hügel, um die N977 zu vermeiden. Das Abendlicht ist wunderschön.
Bei Carignan wird es schon kühl. Bis ich am Abbaye de Orval bin, ist es dunkel.
Der letzte Parcours: 400 Kilometer, 6.000 Höhenmeter. Ich will noch ein gutes Stück schaffen, Höhenmeter wegarbeiten, aber bin einfach zu müde. In Sommethonne ist mitten im Ort ein Bushäuschen. Es ist erst 23 Uhr, noch kommen Autos durch, nebenan reden die Nachbarn. Niemand kümmert sich um mich. Wecker auf 3.
Aufrappeln, Starbucks-Kaffee vom Supermarkt, zitternd zusammenpacken. Sobald ich fahre, wird das besser. Wenigstens freue ich mich auf die Anstiege. Die in der Kälte immer zu kurz sind und von noch kälteren Abfahrten abgelöst werden. Die Häuschen, die ich mir notiert hatte, sind alle nichts. Wenigstens das.
Es ist so lange dunkel in diesen Nächten. Die Tanke in Steinfort sieht offen aus, aber ich kann da jetzt nicht halten, nicht nochmal wieder von vorn frieren. Muss mich zusammenreißen, Kopf und Arme zu bewegen. Nicht mit dem Essen zu schlampen.
Um sieben ist mir so kalt, dass ich nicht weiß, wie ich weitermachen soll.
Ich schmeiße in Gedanken alles auf die Strecke, was ich habe. Frieren ist auch nur eine Funktion der Nerven, das bedeutet gar nichts. In zwei Stunden ist das vorbei. Und überhaupt: du bist nicht deine Gedanken. Hatte mir meine Yogalehrerin mitgegeben. Jetzt kaue ich darauf herum.
Irgendwann ist da endlich Sonne. Und dann ruft jemand, und da steht das Film-Media-Team und feuert mich an, und ich donnere eine Abfahrt hinunter. Alles ist toll!
Vor Echternach verlässt es mich ein bißchen. Die Umleitung vor dem Ort dauert, obwohl die Schlucht wirklich beeindruckend ist. Im lächerlich kleinen Leclerc brauche ich viel zu lange. Kaufe zu viel ein, esse und trinke im Stehen alles, was ich nicht am Rad unterbringe. Suche den korrekten Weg zurück an den Fluss, der gesperrt, vermutlich bin ich die einzige, die es ganz genau damit nimmt, ach verflucht. Sehe eine Frau mit Rad in einem Café, na toll, das ist dann wohl meine Verfolgerin, nichts mehr mit zweiter Platz.
Kann ich mich jetzt nicht mit beschäftigen. Ich brauche alle Konzentration.


Vier große Hubbel entlang der belgisch-luxemburgischen Grenze, 1.900 Höhenmeter auf gut 80 Kilometern. Irgendwo liege ich auf einem Parkplatz auf dem Rücken (knick-knack), esse Melonenstückchen aus der Plastikschale, schaue aufs Profil. Noch nicht mal einen geschafft. Also gut. 170 Höhenmeter, dann 300, dann zwei mal 220. Los jetzt!
Der erste ist der schlimmste. Es ist steil, Autos überholen mich schnell und eng. Kopf runter und weiter.
Die Ardennenhügel sind auf dem Papier gar nicht so hoch und trotzdem in der Wegführung respekteinflößend. Ausgesetzt und in einem Mördertempo steil runter, und in den nächsten Anstieg.
Oben sind die Aussichten spektakulär, der Verkehr zum Teil auch. Ein paar Mal wüte ich besonders rücksichtslosen Autofahrern hinterher.


Irgendwann sehe ich im Tracking, auf das ich gar nicht schauen will, ich bin in Echternach nicht eingeholt worden. Die erste im Rennen hat aufgegeben, und jetzt fahre ich vorn. Hä was?
Als ich mit den Hubbeln durch bin, ist es 18 Uhr. Irgendwo soll ein Biobauernhof sein, wo wir Wasser kriegen.
In Ouren ist ein Rastplatz mit Selbstbedienung. An einem Automaten kann man sich eine Mahlzeit zusammenstellen. Ich fühle mich nicht in der Lage, die Mikrowelle zu bedienen, ziehe mir Chips und alkoholfreies Juliper, wie köstlich ist das bitte. Als ich nochmal zum Automaten gehe klickt es hinter mir. Jakob und Karolina, das Foto-Team, haben mich aufgespürt. Es ist so schön, diese freundlichen Gesichter zu sehen, ich rede zu viel, ich höre bestimmt fünfmal „you do amazing“, das tut so gut.
Am Bio-Hof die Flaschen und aufs Klo. Und dieses super leckere Käse-Sandwich, und ein Muffin. Der Bauer erklärt, die meisten sagen, es käme einem vor, als wäre man schon da. Aber das trügt, es sind noch 190 Kilometer.
Noch ist es hell, noch fahre ich. Kann mich nicht entscheiden: Im wärmeren Teil der Nacht schlafen und früh losfahren, oder andersrum? Aber ich schlafe nicht, solange Clothilde hinter mir noch fährt.
Zwei einsame Hütten im Wald lasse ich links liegen. Als es dämmert, bin ich auf einmal todmüde. Eine Bank mitten im Wald, eine Stunde ruhen und dann weitersehen. Ziehe die Folie, die ich sonst unterlege, als Windschutz über den Schlafsack.
Als ich um elf Uhr hochschrecke, ist alles feucht, und ich schlottere vor Kälte. Das war ja eine tolle Idee.
Packe wieder ein, es hilft ja nichts. Ein paar Bissen und hoffen, dass das Fahren die Kälte vertreibt. In Schönberg suche ich nach einem Unterschlupf und finde nichts. Alles ist abgeschlossen, zu, verwehrt. Was ist das für eine Gesellschaft, in der man am Arsch ist, wenn man keinen Wohnsitz hat?
Dahinter die Eifel, und kaum Ortschaften.
Ich fahre ein langes Stück schlechte Straße entlang, so langsam, dass ich wieder fröstele.
Ich krabble auf einen geschlossenen Jägersitz, am Boden ein ekelhaftes Stück Teppich, tote Insekten, Glassplitter. Nein, dazu bin ich nicht fertig genug.
In Hünningen das rettende Bushäuschen. Unglaublich, was drei Wände und ein Dach gegen die Kälte ausrichten. Zwei Stunden rumgeeiert, gerade 20 Kilometer geschafft. Bin längst raus aus meiner Wunschankunftszeit. Aber so wie in der Ibis-Nacht darf es nie wieder werden.
Drei Stunden Schlaf und mir einreden, dass die Wärme im Schlafsack die Feuchtigkeit verdrängt. Als ich aufwache, erinnere ich mir nur langsam daran, dass ich unterwegs bin, dass die Uhr läuft.
Aufbruch in die erste Morgendämmerung: noch 150 Kilometer. Der Garmin zeigt 4 Grad.
Ich muss nochmal am Boden liegen, der Nacken, knick-knack. Muss in Monschau nach der Toilette suchen, die restliche Creme, erhabenes Gefühl. Muss die Sachen ausziehen, als es in Eupen endlich warm wird, das Frieren für dieses Mal vorbei, unglaublich. Muss mich an der Gileppe-Talsperre anfeuern lassen, „you’re almost done“, yes!
Andere Fahrer holen mich ein, immer Zweier-Gruppen. Ob ich denn niemandem gefunden habe, hatte Karolina mich gefragt. Ich dachte, so sei das Reglement. Außerdem finde ich es cool. I ride solo!
Denke darüber nach, wieviel mir die Erfahrung geholfen hat. Und wie blöd ich es finde, Leute zu so etwas überreden. Klar, du kannst alles mal probieren und abbrechen, und es ist natürlich kein Weltuntergang. Aber ich finde es viel schöner, es zu schaffen.
Noch 60 Kilometer, ich will die in drei Stunden weg haben. Eine Stunde lang geht das auf, dann hänge ich schon wieder. Versuche, die Abfahrten schneller zu fahren, und die geraden Stücke.
Ein Foto vor dem Denkmal an der Redoute, das muss noch sein. Vor mir ein Rennradler, wir fahren beide Schlangenlinie, aber ich hole auf, ist mir ein Vergnügen, nach 1.150 Kilometer und mit den Taschen am Rad. Bravo, rufe ich, als er oben keuchend stehen bleibt und ich vorbeifahre.
Diese letzten Kilometer, kaum zu fassen. Ich weine mal wieder. Noch ein Anstieg. Nur noch einer!! Ist alles ein Witz jetzt. Oben gönne ich meinem Gesicht ein Feuchttuch. Time to zip up the jersey! Geht dann natürlich doch nochmal hoch.
Das allerletzte Stück durch die Stadt kommt mir bekannt vor, das bin ich vom Bahnhof zur Auberge gefahren, vor hundert Jahren. Und dann sehe ich die Jugendherberge, und da stehen sie schon, winken und klatschen. Liège – Paris – Liège, tatsächlich geschafft. Ha!
***
1.179 Kilometer, 12.870 Höhenmeter, 93,5 Stunden gesamt, 63,75 h gefahren.
Danke sehr an das herzliche Orga-Team für den Empfang und diese großartige Strecke. Danke an die sympathischen Media-Teams für die tolle Unterstützung unterwegs und die schönen Bilder. Was für eine riesige Radsportliebe. Was für ein verrücktes kleines Event!















02/09/2025 at 23:10
An diesen events sieht man, wie leicht PBP ist. Bravo!
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04/09/2025 at 20:54
Ob das jemand unterschreibt, der sich gerade über die PBP-Strecke quält… 🙂
Aber ja, ich denke mir, es ist etwas einfacher, weil man sich um Essen und Schlafen nicht so viele Gedanken machen muss.
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04/09/2025 at 7:58
Wie immer mehr als lesenswert.
Bin jedes mal von deinem Durchhaltewillen begeistert & fasziniert. 👍🦿
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04/09/2025 at 20:55
Danke sehr, das ist sehr nett. Auch immer wieder, dass das jemand lesen will 🙂 Allerbeste Grüße!
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04/09/2025 at 15:14
Wow! Vielen Dank für den Bericht und Glückwunsch zur tollen Leistung.
Die Aussage „Ich bin einigermaßen zäh“ ist auch die Untertreibung des Monats :)))
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04/09/2025 at 21:01
Lieben Dank 🙂 Und naja, es ist ja doch immer alles relativ… (und Eigenlob sowieso irgendwie peinlich). Schönen Gruß!
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