So früh wie möglich wollen wir zur heutigen Königsetappe aufbrechen. Mehr als 3.000 Höhenmeter stehen auf dem Plan, bis wir Enna, den „Nabel Siziliens“ erreichen. Die Steigung beginnt direkt in Cefalù und führt zunächst hoch in die Monti Madonie, einen Gebirgszug, der das Meer vom Inland trennt. Dankbare Blicke eröffnen sich nach unten auf die Bucht, jeder zurückgelegte Höhenmeter ist gut sichtbar. Langsam kurbeln wir die ersten 800 Höhenmeter. Immer noch erkältet gehe ich es heute sehr verhalten an.

Aber nach der ersten Anhöhe ist es mit der Ruhe vorbei. In der Abfahrt geht ein Wind, bäumt sich die Straße, dass es etwas Urwüchsiges hat. Oben zwischen den Bergen, wohin unser Weg führt, hängen dunkle Wolken. Nach ein paar weiteren Höhenmetern erreichen wir Isnello. Die dorfeigene Café-Bar verlassen die Einheimischen abrupt, als wir eintreten, um uns mit einem Espresso und einem Cornetto zu stärken.

Wir sind uns angesichts des Wetters noch nicht sicher, ob wir den geplanten Weg durch den Parco delle Madonie einschlagen sollen. Es scheint einen alternativen Weg zu geben, der zwar nicht deutlich weniger Höhenmeter aufweist, aber auf einer geringeren Höhe verläuft. Wenn es wirklich regnet, kann das dafür sorgen, dass die Temperatur nicht allzu unangenehm wird.

So landen wir im Tourist Office von Isnello, wo man es offensichtlich für ein unmögliches Unterfangen hält, mit dem Fahrrad nach Enna zu gelangen. Es wird nach Kartenmaterial gesucht, Anrufe werden getätigt. Als wir aus den italienischen Unterhaltungen das Wort „Autostrada“ heraushören, werden wir misstrauisch gegenüber der Güte der Auskünfte, die wir hier erhalten. Unsere ursprünglich geplante Strecke scheint allerdings tatsächlich Straßenschäden aufzuweisen. Wir entscheiden uns für die Alternative, östlich vorbei am Naturpark.

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Nach einer kurzen Verschnaufpause geht es weiter hinauf, zum unaussprechlichen Ort Geraci Siculo, von M. kurzerhand „Cyrano de Bergerac“ genannt. Es geht bergauf. Bergauf. Bergauf. M. erfreut sich kurzzeitig am glänzenden, schön liegenden Haar einiger Ziegen, die sich über die Straße verteilt haben. Erste Zeichen von Unterzuckerung.

Wind kommt von vorn in den Serpentinen nach links. Wind kommt von hinten in den Serpentinen nach rechts. Irgendwann geht es nur noch nach links, bergauf, gegen den Wind. Wir erreichen eine Art Grat, und da nimmt der Wind stürmische Formen an. Bergauf und gegen den Wind. Tritt für Tritt. Es hilft nichts, wir müssen da rüber, auf die andere Seite.

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Der Ort mit dem unaussprechlichen Namen liegt selbst an einem Steilhang. Unser Navigationssystem will uns mitten hindurch lotsen, aber da streike ich. Es muss auch über die Umgehungsstraße gehen. M. meint, wir verpassen das Restaurant unseres Lebens. Am Ortsausgang finden wir einen Wasserhahn und eine Café-Bar, das muss reichen. Das fünfhundertste eingeschweißte Croissant. M. steht in der Mitte des Raums, wo die Klimaanlage heiße Luft hin bläst, und verspeist eine Art Würstchen im Schlafrock.

Körperlich und moralisch gestärkt und mit gefüllten Flaschen fahren wir ab nach Gangi. Ich bin schon bereit, mich dort in das erstbeste Hotel zu begeben. Aber der Ort ist trist, und es gibt kein Hotel. Und überhaupt, es sind nur noch 50 Kilometer. Die gehen eigentlich immer. Auch mit brummendem Kopf. Bergauf. Gegen den Wind. Muss gehen.

Es ist eine ganz eigene Landschaft, die wir inzwischen erreicht haben. Ein saftiges, robustes Grün, nicht so laubbaum-lieblich wie zuhause. Trutzig, aber einnehmend. Interessant. Und wir haben mit dem Wetter Glück, wir bleiben vom Regen verschont.

So fahren wir vor uns hin, langsamer werdend, wenn die Straße in ihren kleinen Wellen bergauf führt, dankbar rollend, wenn es bergab geht. Stundenlang begegnen wir kaum einer Menschenseele.

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Schließlich gabelt sich die Straße, es ist nicht klar, wo wir hin müssen. Nach ein paar Kilometern ein Mann, der mit seinem Bagger einige Steine aufschichtet. M. versucht, ihm Informationen zum Wegverlauf zu entlocken. „Enna? Hm“, macht er, deutet unbestimmt in eine Richtung zwischen den Straßen.

Da kommen an dieser unwahrscheinlichsten aller Stellen zwei Mountainbike-Fahrer des Weges. „Enna, si si, andiamo“, sie fahren ein Stück mit uns. Eine halbe Stunde später bekommen wir einen alternativen Schlafplatz angeboten, aber wir lehnen dankend ab. Jetzt fahren wir es zu Ende.

Es sagt sich leicht. In der Ferne, weit oben, liegt schließlich, in von Abendsonne beschienene Felsen geschmiegt, wie ein Adlerhorst das Örtchen Enna. Die letzten 600 Höhenmeter. Es tut nur noch weh. Ich halte Zwiegespräche mit den Kilometerpfosten am Wegesrand, alle 100 Meter. Der Horst kommt nicht näher.

Und dann passiert das Undenkbare. Ich steige ab. Ich kann mich nicht erinnern, dass das schon einmal passiert wäre. So ernüchternd und so wohltuend. Komisch ist, nach ein paar Metern schieben geht es auch schon wieder.

Vor uns dann ist die Straße nochmals gesperrt. Wir sollen wieder runter und auf der anderen Seite hoch. Keine Bauarbeiten zu sehen, es ist fast schon dunkel. Wir nehmen diese Straße, und wenn wir die Räder hochtragen müssen!

Und dann sind wir oben. Das Gefühl, sich nach einem solchen Tag auf einem bequemen Bett auszustrecken. Warme Dusche. Brot, Wein, Pasta. Danke.

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Unsere Route für fünf Tage: www.komoot.de/tour/7643287/zoom – 480 km, 7.200 hm
Leider kann man die Route nur aufrufen, wenn man sich bei Komoot anmeldet. Gern verschicke ich die GPX-Datei, einfach melden!