Lange habe ich überlegt, ob ich überhaupt hingehen soll, nachdem ich es im letzten Jahr bei der BFS wenig spannend fand. Vielleicht lag das daran, dass ich zuvor Herrn Strasser zugesehen hatte, wie er auf dem Tempelhofer Feld seine einsamen Runden zog, auf der Jagd nach dem neuen 24h-Weltrekord.
DAS war doch Radfahren, wenn man mal vom Begleitfahrzeug absieht (das auf dem Tempelhofer Feld schon allein dafür gebraucht wurde, damit keine kleinen Kinder vor die Speichen laufen).
Der bärtige Hipster, der auf dem Plakat der Berliner Fahrradschau 2016 zum Untertitel Urban Lifestyle an seinem Rennrad, Verzeihung, Singlespeed lehnt, ist es dagegen nicht. Aber was weiß ich schon.
Ich weiß ja offensichtlich nicht einmal, dass dieses „ich könnte doch was verpassen“ Ergebnis einer ganz perfiden Werbestrategie ist, obwohl ich seit 15 Jahren mehr oder weniger im Marketing arbeite. Ich könnte diesmal aber wirklich was verpassen! Vor allem, wo Jaegher ausstellt. Überhaupt scheint die ganze Veranstaltung inzwischen größer geworden zu sein.
Das lässt sich bereits am Eintrittspreis ablesen, der ist um 50% gestiegen. Vorher stehen wir eine Zeit lang in einer Schlange, die bei einer Paarung von Fashion Week mit Fahrradkurier entstanden sein könnte.
Die modische Menge ergießt sich in die Halle mit der Bezeichnung Velo Couture®, wo es noch mehr von dem ganzen hippen Kram gibt. Sachen fürs Radfahren, die urban sind, was auch immer das nun heißt (städtisch?), Vintage-Radtrikots, handgenähte Schuhe. Apres Cycling Apparel lese ich. Was soll das sein, Bademantel und Schlappen? Aber wenn man ehrlich ist, die gut gemeinten Vereinstrikots, oder was sich sonstige Gruppen so antun, sind oft auch nicht schöner.
Nach dem fünften Fahrrad aus Holz oder Bambus, auf dem meiner Meinung nach niemals jemand ernsthaft unterwegs sein wird, höre ich auf zu zählen. Irgendwann stehen wir in einer Ecke, wo es komplett undefiniert wird. Lampen sind auf Pedale montiert, Spiegel von Fahrradmänteln umrahmt. „Wie nennen sie das hier?“ frage ich M. „Müll“, befindet der.
Im Bereich der Räder geht es ein wenig normaler zu. Giant wirbt mit Simon Geschke, Specialized mit Alu, Campagnolo mit der eigens aufgebauten Werkstatt, Jaegher mit prämierten Sonderausgaben. Wir erhaschen einen Blick und eine Berührung des Bombtrack Hook 2, das M. schon lange auf der Liste als +1 für wen auch immer von uns beiden hat.
Neben dran werden „echte“ Radklamotten gezeigt. Ein paar Marken, die nicht bei den wenigen Sportgeschäften geführt werden, die überhaupt etwas für den Bedarf anbieten. Ich befühle ja ganz gern Trikotstoff zuerst einmal und finde es schade, mir nur dafür Sachen zuschicken und wieder zurück gehen zu lassen. Nun weiß ich, dass auch die Jerseys von POC und Pedal Ed nicht kratzen.
Im „Action“-Bereich ist es gerade nur laut. Ich hätte mir gern etwas Bike-Polo angeschaut, aber auf der Fläche wird unter den euphorischen Zurufen eines Moderators eine Art Breakdance rund um ein Fahrrad aufgeführt und gefilmt. Dahinter toben sich die Youngster der Hipster auf verschiedenen Parcours aus. Urban Ikea Kinderparadies.
Nachdem M. keine Lust hat, sich eine halbe Stunde für Pulled Pork mit Crafted Coffee anzustellen, sind wir auch schon fast durch.
Eine nette Begegnung haben wir dann aber doch noch. Jan Sahner, Geschäftsführer von Quäldich.de, hat noch Plätze für seine Radreise Berlin-Wien an den Mann zu bringen, wie er uns augenzwinkernd wissen lässt. Von unseren Rapha-Leibchen schließt er auf zahlungskräftiges Publikum. Wir wirken wahrscheinlich wie die typischen wohlsituierten Midlife-Menschen. Dass mein Verago gerade 28 geworden ist, behalte ich schön für mich.
Leider wird das auch nichts mit der gemeinsamen Fahrt nach Wien, da wir doch eher auf eigene Faust losziehen. Aber das sagen wir nicht, der Mann ist neben all dem hippen Getue so unwiderstehlich normal, und es macht Spaß, sich ein bißchen zu unterhalten. Quäldich.de stellt immerhin vor sämtlichen Fahrten in die Berge meine morgendliche Lektüre. Wenn ich eine „fertige“ Reise suchen würde, wäre es nur folgerichtig, hier zu schauen – wer soll es denn besser können?
BFS 2016, eine ganze Stunde länger als im letzten Jahr sind wir dort. Was mir bei der ganzen Veranstaltung fehlt, ist die „normale“ Seite des Radfahrens. Wo sind Radmarathons, Radvereine, die Sixdays? Und wieso tun die hier so, als hätten sie das Radfahren neu erfunden? Was bleibt, sind zwei neue Accounts bei Quaeldich.de.
Wer sich die 15 Euro Eintrittsgeld gespart hat, möchte diese vielleicht in die Rettung der Leipziger Neuseen Classics investieren. Das Radrennen hat seinen Hauptsponsor verloren und probiert es nun über Crowdfunding. Noch bis kommenden Sonntag Mittag kann man ab zehn Euro interessante Gegenwerte von der Minipumpe bis hin zur Mitfahrt in einem der Führungsfahrzeuge oder gar das Tragen der Startnummer 1(!) im Rennen erwerben und hilft damit gleichzeitig dem Jedermann-Radsport. Wenn das gelänge – das wäre doch mal hip!
03/04/2016 at 9:31
Liebe Ride.Breathe.live.
wir haben euch für den Liebster Blog Award nominiert:
http://traumradeln.de/2016/04/03/liebster-blog-award-2/
Wir hoffen, die Nominierung ist für euch ok und ihr macht mit.
Grüße die Traumradler
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