So nannte ich im vergangenen Jahr auf Komoot die Tour vom Ostersonntag. Der Coach wollte natürlich wissen, wer das denn nun wieder sei. Der Name hatte ich vom bösen Bluttransfusions-Doktor geliehen, den Armstrong angeblich einmal anrief, als Patani ihm in schwindelerregendem Tempo davon fuhr.
Ferrari berechnete, dass Patani das wahnwitzige Tempo auf keinen Fall würde durchhalten können, und der abgezockte Lance konnte sich zurücklehnen und abwarten, wenn man auf einer Tour de France-Etappe davon überhaupt sprechen kann.
Jedenfalls verlieh ich M. diesen Beinamen wegen seiner unheimlichen Superkräfte. Man hält Konkurrenz auf dem Rad besser aus einer Beziehung heraus. Aber das ist nicht so einfach, wenn man den ganzen Winter trainiert und trotzdem auf den ersten Ausfahrten kaum M.s Hinterrad halten kann. Daher ist M. bei uns der Anfahrer. Er ist aber auch Mechaniker, exzellenter Team-Koch und überhaupt Unterstützer.
In diesem Jahr habe ich das etwas besser im Griff, dank einiger Videos für die Rolle. Jörn von „Um den See“ hatte darüber berichtet, und ich fand heraus, dass es für mich ganz gut funktioniert, wenn mir so ein Filmchen einfach vorgibt, dass ich jetzt bitteschön mal 90 Sekunden lang volle Pulle reintreten soll. Intervalle, hurra. Es ist ja regelmäßig zu lesen, dass Frauen nicht so gern richtig Gas geben, was mich immer ärgert. Aber wenn ich ehrlich bin, ist da etwas dran.
M. und ich würden in diesem Jahr also zumindest den gleichen Spaß haben auf unserem Osterspaziergang nach Elsterwerda. Reichliche 150 km.
„400 Kilometer gehen an den freien Tagen“ flüsterte die Schweinekatze in den Tagen vor Ostern. Ich zeigte ihr den Vogel. Die Wohnung aufräumen, soziale Verpflichtungen, Eier färben, wartende Kuchenzutaten. Wir trafen uns bei 300 km.
Als Karfreitag der Wecker geht, fällt mir nur sehr langsam ein, dass Feiertag ist und es ab halb elf regnen soll. Ein Blick auf die Straße, es ist bereits nass und grau. Gabba-Wetter. Ich bin eigentlich kein Produktfetischist, aber das Castelli Gabba W hat mich inzwischen absolut überzeugt. Ich habe noch nichts kennenlernen dürfen, dass gleichzeitig so wind- und wetterdicht ist und trotzdem Feuchtigkeit so gut verdunsten läßt. Hätte ich nicht zwischendurch zur Arbeit gemusst, ich hätte es den Winter über einfach anbehalten.
Es ist trübe auf der Sommerabend-Hausrunde, aber auch feiertagsfrüh verkehrsarm. Allein dafür lohnt sich Aufstehen immer. Mehrfach lassen mir Autofahrer höflich Vortritt an irgendwelchen Kreuzungen oder Ausfahrten. Wahrscheinlich bedauern sie mich im Nieselregen.
In Höhenschonhausen dann bemerke ich aus den Augenwinkeln einen kleinen, weißen PKW. Ich sehe in zornesrote Gesichter hässlicher Vorortmenschen, die mich durch die Scheibe beschimpfen. „Radweg“ meine ich aus dem gedämpften Geschrei herauszuhören.
Die Szene ist so absurd, dass ich fast lachen muss. Hier ist kein Radweg, ihr Lieben. Aber links neben euch sind noch zwei leere Fahrspuren. Wie Menschen sich selbst die Laune verderben, weil sie andere über etwas belehren müssen, was nicht einmal richtig ist. Ich fahre einfach weiter.
M. hat gesimst, „trainierst Du wieder heimlich?“ Am Nachmittag gibt es gedeckten Apfelkuchen in Kreuzberg.
Ostersonntag fahren wir kurz nach 9 Uhr los, „kurz nach 8!“, wie M. anmerkt, es geht nach Süden. Der Wind soll von vorn kommen, wovon ich mir einen zusätzlichen Trainingseffekt erhoffe.
M. trägt ein schwarzweißes Fahrtwind-Jersey mit passender Rapha-Bidon (um die ich ihn ausdauernd beneide) zum dunkelgrünen De Rosa. Ich trage vor allem einige Stücke Nuß-Hefekranz, mit dem ich M. bestechen werde, wenn er unterwegs wie angekündigt Pause machen will, „um Eisbein zu essen“.
Nur weniges empfinde ich als so schrecklich wie den Gedanken an eine ganze, deftige Mahlzeit unterwegs. Sonntag Nachmittag nach der Ausfahrt wurde bei meiner Familie aufgetischt: Obstkuchen, Brioche, Mousse au chocolat, Eis, Erdbeeren, Schlagsahne. Oft alles auf einmal. Mitfahrer, die uns nichtsahnend nach Hause begleiteten, erschraken.
Der Wind fällt uns über den Teltower Feldern zum ersten Mal so richtig auf. Unsere Strecke ist dann doch etwas sehr gerade, eher mentales Härtetraining, durch das verlassene Brandenburg mit seinen zugenagelten Fensterläden. Der Wind bremst uns, wir arbeiten uns ab, es fühlt sich an wie ständig bergauf. Sonne und Vögel, die in herbstbraunen Wäldern ihre Lieder singen.
In Lebusa, nach gut 100 km, sitzen wir mit übersäuerten Beinen auf einer Bank und essen das Bestechungsgeld. Ein paar Fotos, einige unvermutete Abschnitte Feldweg und ein Stück märkischer Sand vernichten Zeit. Wir müssen fast Gas geben, damit wir den Zug noch erwischen. Der Wind will nicht nachlassen. Ich lasse mir am Tacho ständig die zurückgelegten Kilometer anzeigen. Ich freue mich über jeden einzelnen.
Am Bahnhof in Elsterwerda hat alles zu und niemand spricht. Die letzten 30 km habe ich mich nach einem Käsekuchen verzehrt (der Proteine wegen), den es hier nicht gibt.
In meinem Kalender gebe ich der Tour 75 von 100 Härtepunkten. Das ist viel. Um 22 Uhr machen wir das Licht aus, „9 ist das erst!“, wie M. anmerkt. Ich schlafe wie ein Stein.
Am Montag dann wieder der Wecker, M. verdreht die Augen und schnarcht weiter. Irgendwie gelange ich aufs Rad. 40 km in eine Richtung und wieder zurück, Route ohne Schnickschnack.
Nach den ersten 25 km kehrt Leben in meine Beine zurück. Ein Radfahrer spricht mich an, ich habe ihn schon aus der Ferne herumlungern sehen. Einer, der nicht gern allein fährt. Er fragt, ob ich denn etwa die ganze Strecke nach Elsterwerda mitgefahren sei? Ich lasse mich zur Entgegnung hinreißen, dass mein Verago vielleicht nicht so aussieht, ich aber schon 10.000 Jahreskilometer mache. Danach ärgere ich mich, dass ich so angegeben habe.
M. würde mir Beifall klatschen. Als er kürzlich im Freundeskreis erzählte, ich sei ihm am Mont Ventoux weg gefahren, sagten die Anderen, „na kein Wunder, E. ist ja früher auch Radrennen gefahren“. (Ich bin niemals Radrennen gefahren, nur Radmarathons.) Für M. waren das die Früchte jahrelanger kommunikativer Anstrengungen.
Zuhause esse ich ein hartgekochtes Ei. Endlich Proteine. Die Schweinekatze schnurrt. Sie ist halbwegs zufrieden, für heute.
Schreibe einen Kommentar: