Schreib da mal drüber, sagt Freundin A., als ich ihr erzähle, das mit dem Radfahren sei irgendwie anders geworden. Was macht Ihr denn, wenn das nicht mehr so geht? Das ist doch ein Thema.
Fängt man erst jenseits der 40 ernsthaft mit dem Radfahren an, dauert es gar nicht so lange bis zu dieser Frage. Auf einmal gehören nicht nur Core-Übungen zum unendlichen Training, sondern auch das Mobilisieren der knackenden Gelenke. Und liege ich irgendwo nachts mucksmäuschenstill auf den Holzplanken im Bushäuschen, in der Hoffnung, die angetrunkenen Leute gehen einfach vorbei, dann frage ich mich hin und wieder, ob das noch altersgerecht ist.
Radfahren eignet sich nicht zum Altwerden. Das heißt, das Radfahren an sich schon. Aber das ganze Drumherum nicht. Diese Klamotten, die immer dünner und pastelliger und womöglich noch enger anliegend. (Schon klar, jede und jeder darf alles tragen. Das heißt noch lange nicht, dass ich mich darin wohl fühle.)
Und der ewige Leistungsbezug. Beat yesterday, dieser Claim hat mich von Anfang genervt. Klingt, als wäre das der Punkt am Radfahren, dies ständige Besserwerden. Dabei geht es doch nur um den Fahrtwind und die weite Landschaft und die Neugier, was da hinter dem nächsten Wäldchen ist. Strava mit seinen Bestzeiten und seiner Vergleicherei habe ich mich lange erfolgreich verweigert. Ich hatte so eine Ahnung, dass dieses Streben nach Zahlen mir nicht gut tun würde.
Und ich finde, es schließt die andere Seite aus. Wenn das körperliche Dasein den Peak erreicht hat und es den Berg langsam wieder runter geht. Wenn Beat tomorrow zur Regel wird. Zwar kann man Ausdauerleistung bis weit nach der rechnerischen Lebensmitte steigern. Aber irgendwann nicht mehr. Und dann gibt es für dich nicht mehr viel da draußen.
Dazu noch Auftritt „Perry Menopause“. Das wurde der Autorin Mareike Fallwickl angezeigt, als sie Perimenopause googelte. Den lieben Perry, nenne ich die gesamte Angelegenheit ab da. Perry zerstört allen, mit denen ich darüber rede, den erholsamen Schlaf. Perry macht, dass die körperlichen Proportionen verrutschen. Perry zieht mir Energie.
An manchen Tagen bin ich körperlich wie nicht da. Die Kilometer kommen nicht mehr wie von selbst zusammen. Die Winterkilos kleben ganzjährig am Bauch.
Komischerweise kann ich trotz allem fahren.
Anfang April stehe ich um 4:30 Uhr auf, um den Zug um halb sieben nach Leipzig zu erwischen, um bei Berlin – Leipzig (in diesem Jahr umgekehrt) gegen harten Wind nach Berlin zu radeln. Mir ist schlecht von der frühen Uhrzeit. Normalerweise hört das in der ersten Stunde auf dem Rad auf. Jetzt nicht. Ich fahre trotzdem, fahre nicht unbedingt langsamer. Aber ich frage mich, wozu, wenn nicht mindestens die Hälfte der Zeit das schöne Erleben überwiegt.
Irgendwann beschließe ich, das alles hinzunehmen. Dann eben keine 200 Kilometer in den Oderbruch, wenn mir gerade danach zumute ist. Keine langen Strecken, um die langen Strecken zu üben.
Stattdessen: Kurze Fahrten. Viele kurze Fahrten. Mittags eineinhalb-Stunden acht Ampeln raus aus der Stadt, acht Ampeln rein in die Stadt. Früher hätte ich mir für sowas nicht die Schuhe geschnürt.
Aber für den Kopf ist es gut.
Und Intervalle. Damit war ich lange aufs Kriegsfuß. Ich weiß, es macht einen Unterschied, dem Körper solche Impulse zu versetzen, statt nur im Waldschleichergang vor mich hin zu eiern. Aber ich fahre gern so vor mich hin. Jetzt mache ich es, weil die kurze, intensive Anstrengung auch an einem nicht so fitten Tag möglich ist. 20 Minuten abwechselnd voll reintreten und locker lassen, und ich kann nicht glauben, dass ich die nächsten 20 Minuten überleben werde. Danach bin ich wie einmal durch die Waschanlage geschoben, durchgewalkt, komplett erfrischt. Fast fange ich an, es zu mögen.
Außer dass mein Puls nach der Anstrengung so schnell sinkt wie immer, habe ich keine Ahnung, wie fit ich bin. Mein Körper ist eine Lotterie. Die längeren Brevets sage ich alle ab, nur das North Race Westphalia will ich unbedingt fahren. Kann mir 300 Kilometer nicht vorstellen, aber 1.000 oder mehr sind zu abstrakt.
Am Ende fahre ich in diesem Sommer zwei Events mit 1.100 und 1.200 Kilometer, ich fahre sie nicht mal schlecht. Unterwegs erwischt mich die Kraftlosigkeit nicht. Oder sie ist nicht zu unterscheiden von der Kraftlosigkeit, die sich nach der ersten Nacht sowieso einstellt.
Nach dem zweiten Event, vier Nächte auf der Straße, fühlt es sich an, als hätte ich seit Jahren nicht trainiert. Aber das war früher auch so.
Dafür ist der Kopf viel besser. Ich bin aus unerfindlichen Gründen viel zuversichtlicher unterwegs. Bin besser darin geworden, mich aufzubauen statt mich fertigzumachen. Vielleicht, weil ich nicht viel erwarte von der Lotterie.
Dann heimkommen und sofort die nächste Tour planen. Das ändert sich auch nicht. Also liege ich wohl doch nochmal auf irgendeiner Bank und hoffe, dass mich niemand bemerkt.
Mal sehen was noch kommt.



11/12/2025 at 20:48
Du schreibst mir aus der Seele.
Dafür danke ich Dir 🙏.
Liebe Grüße
Rainer
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11/12/2025 at 22:18
Danke für den Beitrag. Mein Thema. Aber ich bin jetzt bei Post Meno. Diese Gedanken habe ich auch, und die Zustände kenne ich auch. Die schwindende Kraft, der Schlafmangel. Man muss sich erst wieder neu einrichten in diesem etwas anderen Leben und Körper.
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12/12/2025 at 9:01
Wieder ein so schöner Beitrag, liebe Eva. Und ich habe so viele Gedanken dazu, möchte aber vor allem einen hier lassen: Ich glaube, dass jede Lebensphase, jeder Lebensabschnitt, uns dazu einlädt, uns selbst & unseren Körper neu und im besten Falle nochmals besser kennenzulernen. Für mich war das Radfahren immer Freiheit – und ist es an erster Stelle auch noch. Und dennoch bin ich mittlerweile ein verliebter „Zahlen-Nerd“ gewesen und meine Leistungsdaten haben einen wichtigen Platz in meinem Radfahren eingenommen. Sie haben mir geholfen, dass mein Körper nicht mehr Lotterie für mich ist, sondern dass ich ihn lesen, verstehen kann und weiß, was er gerade wirklich braucht. Dazu zählen auch Watt & Co und auch wenn ich das niemals gedacht hätte: Seit ich mir erlaubt habe, diese Zahlen auf eine gesunde & neugierige Art und Weise (fernab von höher, schneller, weiter) in mein Radfahren zu integrieren, ist meine Freiheit am Rad eine größere, bessere geworden. Denn ich weiß dadurch, wie mein Radfahren nachhaltig auch in all den kommenden Jahren für mich leb-bar bleibt und vor allem darauf kommt es mir an.
Danke für deine immer wieder so schönen Beiträge. Freue mich jedes Mal, wenn ich die Mail über einen neuen Blogeintrag erhalte! 🙂
Leona
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12/12/2025 at 9:45
Tausend Dank für diesen Beitrag. Mit Kraftlosigkeit und damit einhergehenden Motivationsproblemen kämpfe ich auch seit ein paar Monaten. Dabei steht für nächstes Jahr der Mont Ventoux auf dem Programm…
Liebe Grüße
Achim
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12/12/2025 at 12:56
Ach wie schön zu lesen, dass es nicht nur mir so geht mit dem Fühl. Dickes Herz drangeklebt.
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