„Enna!? Con bici??“ Vier kugelrunde Augen blicken uns erschrocken an. Sie gehören zwei Sizilianerinnen, die sich in ihren dicken Pullis um den Heizstrahler gedrängt haben, der die zentrale Wärmequelle im kleinen Tourismus Office des Örtchens Isnello am Rande des Parco delle Madonie darstellt.
In meinen kurzen Radklamotten bereit, hinaus in den 15 Grad warmen Tag zu treten und die Überquerung der Monti Madonie in Angriff zu nehmen, verstehe ich in diesem Moment auf neue Weise den Begriff ‚Teutonin‘.
Es ist kalt in Europa in diesem Frühjahr, das gilt auch für Sizilien. Dennoch oder gerade deswegen sollte ein Trainingslager in wärmeren Gefilden her. Für M. kamen typische, mit Radlern übersäte Gebiete wie Mallorca nicht in Frage.
Sizilien schien uns südlich genug gelegen, um etwas angenehmere Temperaturen zu sichern. Man hat schon gehört, dass es sich zum Radfahren eignen soll, in einschlägigen Internetforen weiß jedoch niemand Genaueres. Es wird also kaum überlaufen sein. Die Aussicht auf italienische Küche am Ende langer Tage im Sattel begeistert. Gepäck für ein paar Tage haben wir schon im vergangenen Jahr in Südfrankreich erfolgreich in Rucksack und Saddle Pack unterbekommen.
Und so fliegen wir an einem Sonntag Ende März nach Catania. Von dort soll es einmal gegen den Uhrzeigersinn rund um den Ätna gehen, Höhenmeter inklusive. Etwas misstrauisch warten wir auf den Radverleiher, der die Räder direkt auf den Parkplatz des Flughafens liefern will. Wir können nicht so recht glauben, dass dies klappen soll. Aber nur ein paar Minuten nach der vereinbarten Zeit hält ein kleiner Lieferwagen.
Unsere Etappe für diesen ersten Nachmittag führt an der Küste entlang bis Taormina. Die Straße, die wir gewählt haben, meint das wörtlich. Mehr als einmal werden wir an diesem windigen Tag von der Gischt benetzt, so eng brandet das Meer an die schwarzen Felsen heran, die linkerhand unseren Weg säumen. Der bewölkte Himmel über der tiefblauen See tut sein übriges zu dieser dramatischen Stimmung. Radfahren am Meer – ich bin dem Alltag entrissen!
Sizilien ist steil, wird uns schnell klar, als die Straße hin und wieder durch einen Ort im Hinterland oder über eine kleine Landzunge führt. Kurze unerwartete Stiche hinter Kurven zwingen dazu, mit der ungewohnten Schaltung schnell vertraut zu werden. Es sind keine langen Anstiege, aber sie sind steil.
Am heftigsten ist es bei der Einfahrt nach Taormina. Der Ort ergießt sich über einen Hang, der auf der Karte harmlos wirkt. Ein Schild kündigt uns 19% auf dem ausgewählten Sträßchen an. Ich habe vor allem Sorge, wie ich wieder anfahren könnte, wenn ich erst einmal abgestiegen bin. So kommt es, dass wir nicht weiter nachdenken, als ein weiteres Schild auf eine Baustelle hinweist. Die Straße dahinter wirkt befahrbar, wenn auch erdig. Schon stecken wir fest in rostbraunem, lehmigem Morast, der nach wenigen Metern nicht nur die Laufräder zentimeterdick umschließt, sondern auch in den Bremsbacken klebt. Und in den Cleats, als wir gezwungenermaßen nun doch absteigen.
Auf einem Stück Rasen, vom Regen noch feucht, versuchen wir, die Räder durch Hin- und Herschieben zu reinigen. Aber die Masse ist zäh. „Das muss trocknen und abfallen“, beschließt M. Noch keine 100 Kilometer gefahren und wir sehen schon aus wie Schweine! Wenigstens sorgt das langsame Tempo auf dem weiteren Weg nach oben dafür, dass uns der Lehm nicht auf den Rücken spritzt.
Unsere Gastgeber für diesen Abend staunen nicht schlecht, als wir mit den Dreckschleudern eintreffen. Dennoch dürfen wir die Räder für die Nacht in einen engen Keller tragen. Ich brauche eine halbe Stunde, bis ich den mit Steinchen durchsetzten Lehm aus meinen Cleats entfernt habe.
Ein köstlicher Teller Pasta und ein Glas Rotwein beschließen diesen ersten gelungenen Tag.
Unsere Route für fünf Tage: www.komoot.de/tour/7643287/zoom – 480 km, 7.200 hm
Leider kann man die Route nur aufrufen, wenn man sich bei Komoot anmeldet. Gern verschicke ich die GPX-Datei, einfach melden!
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