Guten Tag, mein Name ist Takeshi und ich bin Landkreis-süchtig. Verzeihung, das stimmt nicht ganz. Eigentlich bin ich Landkreisschild-süchtig. Kreisgrenzschild, wie man korrekt sagt. Was man auf dem Rad nicht alles lernt.
Es fing ganz harmlos an, das tut es ja immer. Im Sommer bin ich so weit durch Deutschland gefahren, dass ich dachte, es würde sich lohnen, abzusteigen, die Schilder zu fotografieren und sie bei der Landkreis-Challenge einzureichen (die Challenge: Um einen Landkreis zu gewinnen, fotografiere als erster dein Rad vor dem zugehörigen Kreisgrenzschild und reiche es bei den Traumradlern ein).
Lohnen im Sinne von: Es kommt ein dickes, weiches Polster von Schildern zusammen, auf denen man sich ein paar Jahre ausruhen kann. Da bin ich mal ganz vorn! Und es geht sowieso um nichts, außer vielleicht um die Kilometer-Ehre (also geht es um alles, aber nun).
Habe angefangen, mein wundervolles Jaegher in allen möglichen Stellungen rund um die Schilder zu drapieren. Habe gelernt, ein Landkreisschild anhand seiner Umrisse Hunderte von Meter im voraus zu erahnen. Hochkant, ungefähr wie ein Bushalte-Schild, aber ohne gelbe Stange oder Fahrplan-Schnickschnack. (So lange es ein altes ist. Die neuen Schilder sind tückischer.)
Zurück in der Heimat, nicht mehr viel Neues. 25 Schilder sollten doch auch reichen, fürs Erste?
Plötzlich und lautlos hat ein Mann namens Jesko, dum-di-dum, sieben (in Worten: sieben!!) Landkreise gesammelt. Abstand auf achtzehn Landkreise verringert.
Kann ja wohl nicht sein. Geht ja gar nicht!
Der spätherbstliche Ehrgeiz ist entflammt. Berlins Stadtrand rasch und erfolglos (fast: Teltow-Fläming) abgegrast, schon plane ich seltsame Fahrten durchs Umland.
Krude sieht das aus. Akribisch. Bekloppt. Gerissen. Wie man es halt sehen möchte. Fehlt nur noch ein trockener Tag.
Blick auf die Rangliste der Challenge. Jesko hat auf neun erhöht. Nein, nicht! Aus, Jesko, aus!
Oder doch? Je mehr andere mithelfen, desto schneller ist der Spuk vorbei. Aber was kommt danach?
Ein Stück mit dem Zug, ach diese Kälte. In Rathenow um 9 Uhr und bei null Grad los. Der Wind pfeift erbarmungslos durchs Trikot. Jesko, Jesko, was mache ich hier? Im Winter fahren, das ist nicht meins. Da schrumpfe ich zusammen, da gefrieren die Bewegungen, da bin ich nur ganz innen noch da.
Aber schön ist es, so schön. Meine Mutter sagte vor kurzem, die Gegend um Berlin herum, die fände sie so melancholisch in ihrer endlosen Weite. Das muss hier sein. Die golden beleuchteten kargen Felder. Schwarzes Geäst am Horizont.
Und vor 10 Uhr schon ein erstes Schild! Ein paar Straßenzipfel gespart. Eine Schneckennudel müsste man fahren, durchs ganze Land, und das ein für allemal erledigen. Fünf Schilder sind heute drin, wenn es sie gibt. Havelland sieht mau aus, habe ich gelesen.
Man fängt ja an zu googeln (lohnt sich der Weg, haben die überhaupt ein Schild für die Prignitz?) und findet dann mehr Informationen über regionale Streitereien, als man haben möchte. “Uckermark, ab hier wird’s schön”, stand auf der Neugestaltung, und das an der Grenze zu Polen. Dann lieber die alten Wappen, die sind vermutlich auch nicht gerade politisch neutral. Aber hübsch.
Stendal ist alt und steht an jeder einzelnen Straße, auf der ich heute die Kreisgrenze kreuze (sieben Mal, man weiß ja nie). Die Sonne hat sich verzogen. Die Böen kommen jetzt von hinten, wenigstens das. Kalt ist es trotzdem. Ein einziges Mal Mann sein und nicht den Hintern entblößen müssen wegen der paar Schlucke Kaffee. Vorteil Jesko, nehme ich an.
Kürzlich hatte ich schon eine Email offen. Empfänger: Büro des Landrats, Landkreis MOL (für die seligen Unwissenden: Märkisch-Oderland, flankiert von Barnim, Oder-Spree, Frankfurt/Oder und Berlin. Keine Kreisgrenzen-Markierung weit und breit). Der sollte mir mal sagen, ob und wo er seine Schilder versteckt hält. So weit ist es gekommen.
Auf den Feldern steht das Wasser. Die roten Häuser ducken sich im Wind. Stundenlang kein Auto. Nur Wiese, Hecke, Baum und Feld. Viel hohes Pflaster, ruppig und rau. Ich friere mich von Kilometer zu Kilometer (verflucht sei der Mythos der richtigen Kleidung!), und bin doch froh und denke an alle. Der Winter gehört den Vergessenen.
Jerichower Land, Stendal, Ost-Prignitz. Die Prignitz hat heute kein Foto für mich. Um drei erhöht.
Breddin ist verfrühte Endstation. Stehe ich, friere ich, trotz Fehlau’scher Daunenjacke. Es ist erst kurz nach zwei am Nachmittag. Innerhalb von zwanzig Minuten donnern drei ICs vorbei. Wenig lässt einen Ort so abgehängt erscheinen wie ein verlassener Bahnhof.
Im Wagon der Ostdeutschen Eisenbahngesellschaft taue ich langsam auf. Draußen schon wieder goldenes Licht, und einsame, wollig eingepackte Schafe. Wer kann da widerstehen?
In Spandau hat mir immer noch niemand ein Ticket verkauft, kurzerhand springe ich aus dem Zug, rüber zum Radweg am Kanal, doch noch ein paar Kilometer. Behalte die Daunenjacke an und friere trotzdem. Das treibt vorwärts. Bis ich das Spandauer Verkehrschaos hinter mir habe dämmert es schon. Unten am Schifffahrtskanal trabt das Pferdchen dann wie von allein nach Hause.
An der Seestraße stapeln sich die PKWs, in Mitte ist Hebekran-Romantik im Abendlicht. Zurück in der alltäglichen Welt, der Durst nach Schildern gestillt.
Nur dass der Zug bis Wittenberge auch nur eine halbe Stunde länger braucht, das hat sich irgendwie festgehakt. Daheim mal auf die Karte schauen, ganz unverbindlich. Wittenberge. Wie wird denn das Wetter so die Tage?
Die Mail an den Landrat von Märkisch-Oderland, die habe ich übrigens nicht abgeschickt. Soll Jesko das Schild doch suchen. Oder ich mache es selbst. Jedes Schild verdient schließlich seine eigene Geschichte.
***
Sachdienliche Hinweise zu Aufenthaltsorten der Schilder von Barnim, Havelland, Oberhavel und Uckermark nehme ich gern entgegen! Oder schickt doch einfach selbst ein Foto von Eurem Rad vor einem der noch aufzufindenden 242 Kreisgrenzschilder an die Traumradler. Jesko und ich, das wird ja auch irgendwie langweilig.
Erholsame Feiertage und gute Fahrt ins Neue Jahr Euch allen! Auch wenn es bis dahin noch ein paar Kilometer sind.
22/12/2017 at 21:36
Hatte das erste mal von dem Contest gehört, also Jesko bei ner CTF plötzlich Richtung so ’nem Schild abbog und ein Bild davor machte. Bin mir nicht sicher, ob es zuerst gesehen oder „gefühlt“ hat 😉
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22/12/2017 at 21:38
Gefühlt. Ganz sicher 🙂
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22/12/2017 at 22:34
Lustige Idee ist das! Und Respekt Eva: Du liegst ja mit einem satten Stapel Schildern sehr souverän in Führung 🙂
Mal sehen, ob mich diese Schildchen auch irgendwie motivieren können….
Sehen wir uns beim #CBG18 ??
Schöne Weihnachtstage und rutsche gesund in 2018!
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23/12/2017 at 8:48
Hallo Mario (oder Der im Schnee schläft :-)), ich habe doch ein paar Monate Vorsprung bei den Schildchen. Puffer muss sein 🙂
Ob wir uns beim #CBG18 sehen, hängt davon ab, wie ausgiebig Du Deine Fahrt genießt. Ich schließe mich Haralds Start am Freitag an. Erprobte Gemeinschaft und so weiter.
Aber vielleicht zur BFS? Das wäre schön.
Liebe Grüße!
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23/12/2017 at 14:20
Mann, was habe ich hier in meiner Gegend schon recherchiert nach diesen Schildern. Umzingelt von kreisfreien Städten, die ja nicht mitzählen bin ich mit Google Street View etliche Strecken virtuell abgefahren, in der Hoffnung auf der täglichen Rückfahrt vom Büro wenigstens mal das eine oder andere Landkreisschild zu entdecken. Vergeblich. Verflucht seien die Regionen, die es Google nicht erlauben alles abzufilmen. Wie soll man da vernünftig (und im Warmen) Recherche betreiben können. Ich hoffe ich schaffe es wenigstens zwischen den Jahren zumindest das erste Schild mal zu liefern.
Der CBG18 treibt mich auch schon um. Wenn ihr erst am Freitag los wollt ist das aber recht ambitioniert, so wie ich das sehe. Drei Tage und nachts dem neuen Kodex entsprechend zu Schlaf verpflichtet (was ja nicht soo verkehrt ist) für >600 km bei dem groben Geläuf. Für ein neues Rad wird es bis dahin vermutlich nicht reichen, so werde ich meinen Alltagstourer evtl. entsprechend umbauen.
Vielleicht sieht man sich ja!
Viele Grüße aus Duisburg
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23/12/2017 at 17:12
Hi Markus, interessante Idee, mit Google Street View nach den Schildern zu suchen, darauf bin ich noch gar nicht gekommen. Ich habe eher nach Infos geschaut, ob es für den jeweiligen Landkreis überhaupt ein Schild gibt (es z.B. irgendwo in einem Artikel erwähnt wird). So richtig sieht man auf der Karte ja meist gar nicht wo die Grenze verläuft, da muss man ja viel Straße mit Street View abfahren!?
#CBG18 hat doch keine zeitliche Begrenzung, oder habe ich da was überlesen? Ist aber auch egal, da wir „außer Konkurrenz“ fahren, fahren wir so wie es uns gefällt. Übers Ankommen denke ich jedenfalls jetzt bestimmt noch nicht nach. Das hatte ich beim #CBG17 vorab zur Genüge 😉
Lieben Gruß, wir sehen uns bestimmt irgendwo in 2018…
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23/12/2017 at 17:21
Liebe Eva, „man muss zwar nicht verrückt sein, um an solchen Wettbewerben teilzunehmen, aber es hilft ungemein“. Ähnlich wie Du jetzt war ich voriges Jahr beim „Artfahren“ unterwegs. Wo ist die nächste Skulptur, wie drapiere ich mein Rad am besten, von wem ist das Kunstwerk… Möge Dein Vorsprung Dich als Landkreisschilder-Sammlerkönigin ins Ziel bringen. Morgen schon startet die nächste bekloppte Challenge: Festive 500. Keep on riding und komm wohlbehalten und gutgelaunt und munter in das neue Jahr. Beste Grüße
Dietmar
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24/12/2017 at 8:44
Lieber Dietmar, über die Zeit betrachtet kommt einiges zusammen, bei dem diese sogenannte Verrücktheit hilft 🙂
Danke für die guten Wünsche, viel Spaß bei den Festive 500 und bis bald! Eva
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23/12/2017 at 20:39
Liebe Eva, was für ein großartiger Beitrag. Da wird uns ganz warm ums Herz und er motiviert uns gleich selber. Dürfen wir ihn teilen? Grüße Frank
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23/12/2017 at 20:58
Hallo Frank, als Erfinder der Challenge, na klar! Ist mir eine Ehre 😉
Lieben Gruß!
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24/12/2017 at 0:19
Eva, da hast du was angerichtet! Heute fuhr ich los, drei Schilder in einem Streich abzulichten. Die Ernüchterung folgte auf den Fuße: Wo stehen diese vermaledeiten Schilder??? Meine Ausbeute war obgleich der drei durchradelten Landkreise eher mager. Keines habe ich erwischt. NICHT EIN EINZIGES! Gibt es da eine Regel, wo die stehen? Nur an Bundesstraßen, Kreisstraßen….ich bin ratlos. Rastlos 🙂 Kommt dem CBG18 ja zu gute 😉
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24/12/2017 at 8:54
Ach, das kommt mir alles so bekannt vor 🙂
Also nein, Regeln scheint es nicht zu geben. Manche Kreise haben an jeder Straße ein Schild, manche nur hie und da, andere gar keins. Wenn dann an der fünften Überquerung ein und derselben Kreisgrenze plötzlich ein Schild steht, freut man sich besonders!
Und es erfüllt doch seinen Zweck: Du bist unterwegs!
Also dranbleiben, ich bin gespannt auf Dein erstes Schild 😉
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24/12/2017 at 10:07
Ein frohes Fest wünsche ich Dir Takeshi.
Das schönste an den Winterfahrten sind doch immer wieder die Landschaften und deren Bilder, gepaart mit diese unendlichen Einsamkeit.
Thema frieren: schon mit Wechselwäsche probiert ? Wenn ich länger unterwegs bin, hab ich oft noch ein Wechselshirt zum drüberstreifen/ wechseln mit dabei. Und ganz wichtig ist, alles an Feuchtigkeit muß raus.
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25/12/2017 at 9:27
Danke, Alex. Ja, ich hab immer den halben Kleiderschrank dabei, aber eher für Notfälle, also wenn ich wirklich länger herumstehen müsste. Vielleicht sollte ich einfach mal so das Unterhemd wechseln. Aber… es ist doch so kalt draußen 🙂
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25/12/2017 at 17:50
Hi Takeshi, ich will ja eigentlich keine große Werbungg machen, aber ich nutzte seit Jahren von CRAFT das Be-Active Extreme was ja jetzt noch ein Update bekommen hat. Das Zeug finde ich absolut genial, wärmt, lässt aber gleichzeitig abdampfen. Wenn es ganz rattig wird, hab ich auch gleichem Hause das Warm-Material.
Erste Schicht ist bei mir ein Langarmshirt und dann, je nach Wind & Wetter noch ein T-Shirt aus dem gleichen Material drüber. Wenn dann ein T-Shirt mal feucht-kalt wird, wechsel ich jene. Für Wechsel bieten sich Bushaltestellen, unter Brücken, Wanderhütten oder ähnliche an. Aber ich denke das wirst Du schon wissen. Klar ist für einen Moment nicht angenehm, aber danach um so mehr.
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25/12/2017 at 20:44
Be-Active Extreme, sind das nicht diese Hemden, die mich immer so an Masters of the Universe erinnern… ich meine diese seltsamen Action Figuren, He-Man, Skeletor und wie die nicht alle hießen 🙂
Probiere ich vielleicht trotzdem mal. Ich glaube, meine neuen Beinlinge, mit denen ich sehr zufrieden bin, sind auch von Craft. Danke für den Tipp!
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26/12/2017 at 19:32
Also diese Actionfiguren kenne ich nicht. Kam alles nach meiner Zeit, sorry. Aber recht taff setzten fast alle Funktionswäschen. Auch die von Odlo und Konsortien.
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25/12/2017 at 20:34
Hat dies auf http://www.traumradeln.de rebloggt und kommentierte:
Dieser Beitrag hat irgendwie ganz viel mit uns zu tun. Aus diesem Grund ist es unser erster „Reblog“. Viel Spaß mit den „Melancholische Landschaften“ von „Takeshi fährt Rad“. Takeshi, danke für die Erlaubnis und Grüße.
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25/12/2017 at 20:52
Ja, die Sammelleidenschaft … 😉
HVL-Havelland: Zwischen Barnewitz und Marzahne auf der L99 …
Viel Glück!
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27/12/2017 at 17:22
Hallo Henning, danke für den Tipp. Da steht leider nur ein Potsdam-Mittelmark-Schild. Und das nennt der werte Jesko schon geraume Zeit sein eigen … Aber die Kilometer haben sicher nicht geschadet. Schönen Gruß!
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27/12/2017 at 19:23
Sehr schade, aber mit dem Auto ist man halt zu schnell vorbei, um genau zu schauen. Ich bleibe aber dran und mache dieses Mal ein Foto (ohne Rad), falls ich ein Schild entdecke …
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27/12/2017 at 19:41
… übrigens bin ich mir sicher, dass dort, zumindest eine Zeit lang, zwei Schilder standen, allerdings ist mir der HVL-Mangel anderenorts schon aufgefallen.
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05/01/2018 at 9:36
Großartig – sowohl die Schreibe als auch die Tatsache, dass meine Schildsucherei dich indirekt zu „bekloppten“ Radtouren verleitet hat. Den Vorteil kann ich zwar bestätigen, aber kalt ist uns auch im Winter, und ich glaube, den wichtigen Vorteil hast doch hier du, nämlich einen Vorsprung! Mehr bekloppte Ideen gibt’s übrigens in meinem Blog. Vielleicht hast du Anfang August Lust auf ein Abenteuer im Taunus? Die betreffenden Landkreise sind allerdings schon (fast) alle vergeben. 🙂
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05/01/2018 at 17:34
Hallo Jesko 🙂 Danke für die Einladung. Schaue ich mir an. Ich habe noch wenig Ahnung, was ich dieses Jahr machen werde, aber mag so selbst organisierte Sachen zunehmend mehr.
Und der Vorsprung ist sehr relativ. Man weiß nie, was solchen Langstreckenfahrern plötzlich einfällt!
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08/01/2018 at 11:18
Konkurrenz belebt das Landkreisgeschäft, wir haben plötzlich jede Menge! Es gibt im Taunus übrigens doch noch Rhein-Lahn, Hochtaunus, Main-Taunus und Rheingau-Taunus zu entdecken, auch wenn ich langsam fürchte, dass es die Schilder gar nicht gibt. Die Suche geht weiter.
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