Der Mann hatte die schöne Idee, unsere Frühjahrsrundfahrt diesmal in den Südosten Italiens zu platzieren. Einmal um die Hacke herum und schauen, was die Küste Apulien so zu bieten hat. In die Berge der Basilikata soll es auch noch gehen.

Eigentlich erwarte ich nicht viel. Ländliches Italien: Von einer früheren Reise habe ich verlassene Baustellen in Erinnerung, und lieblos gehaltene Strände. Aber immerhin mal was anderes als Brandenburg.

Beim Planen wird die Strecke länger und länger, irgendwann beschließen wir, die Route auf acht Tage statt der der üblichen vier bis fünf zu verteilen. Wettermäßig ist es zum Verrücktwerden (immerzu 17-19 Grad, in „unserer“ Woche Temperatursturz und Sturm). In Berlin stehen wir noch im Schneeregen an der Bushaltestelle.

In Bari haben wir einen Tag zum Ankommen. Eigentlich eine schöne Stadt mit einem historischen Zentrum um sich zu verlieren, einer Stadtmauer, auf der man mit viel Ausblick entlang spazieren kann. Aber die meiste Zeit regnet es, und ich habe jetzt schon mein langes Unterhemd an, das eigentlich fürs Fahren ist. Zwischen den sonntäglich flanierenden Menschenmassen komme ich mir in Shakedry-Jacke und uralten Turnschuhen unpassend vor. Und ich will endlich wissen, ob mein Leihrad passt, wie das hier auf den Straßen so ist. Ich will losfahren.

Von Bari an den südlichsten Punkt der Hacke

Adriano vom Radverleih* steht schon da, als wir am Montagmorgen an der verabredeten Stelle hinter dem Bahnhof eintreffen. Kurzes Anprobieren der Räder, an dem etwas zu großen Rahmen meines Specialized Alley hat er extra einen kürzeren Vorbau angebracht. Alles passt. Toll!

Bei strahlendem Sonnenschein und tatsächlich in kurzen Sachen starten wir auf unsere 800 Kilometer lange Reise. Wie gut sich die Sonne auf der Hand anfühlt. Wie leicht das Leben gleich ist.

Mit Blick aufs Meer kurven wir aus der Stadt heraus. Fahren auf einer kleinen Straße neben der Autobahn her, weniger schön. Aber so lassen wir Bari samt hektischer Vororte schnell hinter uns.

Polignano a Mare und Monopoli die ersten hübschen Küstenstädtchen, mittelalterliche Fassaden vor türkisfarbenem Wasser, gut besucht. Wir gehen ein paar Schritte, M. erwähnt den Song, und ab da tummeln sich in meinem Kopf die „Randfiguren in einem schlechten Spiel“. Dabei ist hier eher Marco Mengoni-Kulisse.

Unsere Strecke biegt ins Landesinnere, führt leicht bergauf nach Alberobello (das ich im Kopf als „Aerobello“ abspeichere, dabei sind wir gar nicht so schnell), Vorzeige-Ort nfür die sogenannten Trullis, die lokale Rundhäuser mit dem Zipfelmützen-Dach. So viel zu sehen schon am ersten Tag!

Im Zickzack holpern wir durch Olivenhaine, auf einem offiziell ausgeschilderten Fernradweg. Zwischen Ostuni und Carovigno etwas Strada Provinciale mit unangenehm heranrückendem Verkehr. Bin froh, dass die Italiener kleinere Autos fahren.

Nach knapp 140 Kilometer endet die erste und längste Etappe in Mesagne. Unsere Gastgeberin im B&B erklärt uns, wie wir die Heizdecke im Bett anschalten, worauf wir uns rentnermäßig freuen – schon am Nachmittag wird es merklich kühler. Auf dem Weg zum Essen (Spaghetti assassina!) bestaunen wir kurz die schönen Fassaden im Örtchen.

Der nächste Tag startet mit Cappuccino und Cornetto con la crema neben den Rädern. So muss das sein!

Auf dem Weg nach Lecce sind die Straßen deutlich ruhiger. Durch flaches, sensationsarmes Land kurbeln wir dahin, der scharfe Wind von Süden ist die große Attraktion, abgesehen von der Vegetation könnten wir fast in Brandenburg sein.

Im barocken Lecce will man uns auf der Straße salzige Kringel verkaufen, im Café erleben wir erstmals etwas Touristen-übersättigt anmutenden, widerwilligen Service.

Hinter der Stadt dünnt sich die Besiedelung aus. Und als wir wieder an die Küste gelangen, ist endgültig alles leergefegt. Die Siedlungen verlassen, ein paar Hunde liegen schlafend am Straßenrand.

Noch einsame 30 Kilometer gegen den Südwind. Einmal biegen wir in die Dünen ab ein, laufen vor ans Meer.

Im kleinen Otranto sind wir überrascht von der riesigen Festungsanlage, die die Altstadt umfasst. Im Restaurant fühlen wir uns etwas schlecht, nachdem wir das eilig herbeigerollte Wägelchen mit dem Fischfang des Tages verschmähen. Zum Frühstück gibt es Pasticciotto, ein süßes Mürbeteig-Stückchen mit Füllung, wir dürfen aus acht Geschmacksrichtungen auswählen. Ich beschwere mich nicht, hier mit dem Rad unterwegs zu sein.

Der Küstenabschnitt südlich von Otranto wird im Reiseführer besonders gepriesen, und zu Recht. Der Untergrund top, und dank Vorsaison ist da höchstens alle 30 Minuten mal ein Auto, das sich von Weitem durch kurzes Hupen ankündigt. Die Straße führt immerzu auf und ab am tiefblauen und türkisfarbenen Meer entlang, Ausblicke zum Jauchzen.

Eigentlich zieht dieses kurzweilige Stück viel zu schnell an uns vorbei. Ein bißchen fühlt es sich nach Höhepunkt an, als wir mit Santa Maria di Leuca den südlichsten Punkt der Reise erreichen.

Von Santa Maria di Leuca nach Tarent

Auf der zweiten Hälfte der Etappe fahren wir erneut gegen grimmigen Wind, der zuverlässig mit uns gedreht hat. Durchwechseln ist eingeübt. Wieder liegen die Orte verlassen da, niedrige Gebäude, Ferienwohnungen. Ich frage mich immer wieder, wie es hier im Sommer aussehen mag, mit vollen Stränden und zig Feriengästen?

Zwanzig Kilometer vor Gallipolli fliegt uns dunkelgrauer Himmel entgegen. Unter einem Vordach lassen wir den stärksten Regen vorbeiziehen, innen bemüht sich ein Hund verzweifelt, uns weg zu bellen.

Ein Radweg hinter der Sanddüne führt bis in die Stadt hinein. Das Centro storico liegt wie eine tropfenförmige Halbinsel am Ende eines Landzipfel, gegen den Wind kämpfen wir uns über die letzte Brücke.

In den Gassen ist das Pflaster vom Regen glatt. Wir finden einen Imbiss mit Pucce, eine Art warmer, belegter Fladen aus Pizzateig. Köstlich! Später schauen wir im Netz, wie man mit dem Zug nach Tarent käme. Das liegt Richtung Nordwest, von wo morgen der Wind kommen wird. Über 40 km/h, mit Böen über 60.

Außerhalb der engen Gassen von Gallipolli reißt es mir morgens um 8 beinahe das Rad aus den Händen.

Heute erfreut mich auch die hässlichste Küstenbebauung, die den Wind abhält. Erster Cappuccino nach 15 Kilometer, bevor wir hinter nächsten Kurve fast zum Stehen kommen. Im Kopf muss man hier beim Blick auf das türkisfarbene Wasser trotzdem immerzu singen. „Trascorsi giorni interi senza dire una parola, credevo che fossi davvero lontana …“

Wir tröpfeln dahin. In Torre Lapillo kauft M. Panini zum Mittag und lacht nur, als ich direkt vor etwas Bauschutt hineinbeißen will. Wir seien hier ja nicht randonnierend unterwegs!

Irgendwo nehmen wir eine Stichstraße ans Meer, perfekter weißen Sandstrand. Man will eigentlich bleiben.

Später ein paar Baustellen. Nach den Erfahrungen von zuhause erwarte ich, angeranzt zu werden, aber die netten italienischen Arbeiter weisen uns herzlich den besten Weg zwischen den Gruben hindurch.

Nach Tarent hinein fahren wir auf einer kaum asphaltierten Straße mit müllgesäumten Rändern. Die Stadt selbst ist eine tolle Überraschung. Alte Bauwerke mit schönen Fassaden stehen neben 60er und 70er Jahre-Architektur, die Altstadt verwittert und düster. Ich kann mich gar nicht satt sehen an der Vielfalt. Erst die Hälfte der Reise vorbei und schon so viele Eindrücke.

Zu Teil 2, in dem wir durch die Piccole Dolomiti Lucano radeln

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Die komplette Strecke (794 Km, 7.350 Hm) ist hier als Komoot-Collection zu sehen.

*Einige praktische Infos zu Planung und Verhältnissen kommen in einem separaten Blogpost.