Am Morgen erwischen wir eine Autobahn-artige Straße aus Tarent hinaus. Irgendwie scheint es immer nur so oder gleich über halbe Feldwege zu gehen. Aber hinter dem Stahlwerk ist es wieder einsam.
Heute, am fünften Tag, fahren wir landeinwärts in Richtung Berge. Im Vergleich zur Küste wenig spektakulär. Bei Palagiano ist M.s Hinterrad wieder einmal platt. Wir stehen am Wegesrand, als die Polizia Nazionale neben uns hält. Ob wir Hilfe bräuchten? Wow! Zu Hause undenkbar.
Im Parco naturale Terra delle Gravine haben wir mit ein paar Höhenmetern gleich eine schöne Fernsicht. Und den dritten und vierten Platten der Reise. Ich nutze die erzwungene Pause, um zwei Schläuche zu flicken, wie ich es mir letztes Jahr im Taunus bei Insa abgeschaut habe. In der Ferne können wir schon erahnen, wo wir morgen hochfahren dürfen.




Nachmittags in Bernalda informiert unsere Gastgeberin uns bald eine Stunde lang intensiv über die Vorzüge der Stadt, der Region und der gesamten Basilikata. Ich hätte die frühe Ankunftszeit lieber genutzt, um in der Sonne noch ein Eis zu essen.
Stattdessen erfahren wir, dass Francis Ford Coppola hier einen Palazzo besitzt, sein Opa stammt aus der Region (für schlappe 2.900 Euro hätten wir auch dort übernachten können). Und die berühmten Scorzette aus dem Café Leone, wohin wir zum Früstück geschickt werden, sind sogar in New York nachgefragt.
Abends fällt das Thermometer auf einstellige Temperaturen, das unvermeidliche Schlendern im Softshell erfolgt etwas zügiger.



Von Bernalda in die Piccole Dolomiti Lucano
An nächsten Morgen sind wir um acht auf der Straße: Höhenmeter-Königsetappe.
Ich habe ein bißchen Sorge, weil wir nur noch einen frischen Ersatzschlauch haben. Auf unserer Route liegen heute nur kleine Bergdörfer, bestimmt gibt es da keine Radläden.
Die Route führt ein breites Tal entlang, gut zum Aufwärmen bei 7 Grad. Um uns erodierende Berge und trockene Felder, auf denen die Rasensprenger laufen. Wir klettern die Serpentinen nach Craco hoch (sollen wir unbedingt ansehen! Es bleibt aber bei einem Caffè), und nach 47 Kilometer geht es langsam wirklich bergauf.






In Stigliano, einem Nest auf 850 Meter ü. NN., sei ein Eis das Verpflegungs-Minimum, sagt M. In der Gelateria steht am Samstagmittag um halb zwei aber nur die Dorfjugend in Daunenjacken und trinkt Aperol Sprizz.
Die Landschaft des Parco Regionale Piccole Dolomiti Lucano ist karg und rauh, die Bäume grau und blattlos, die Straße weiter oben so, als hätte jemand ein paar Zementreste hin gespachtelt. Ich bin verliebt.
Bei windstillen, sonnigen 15 Grad erklimmen wir Meter um Meter, bis zum höchsten Punkt auf 1.190 ü. NN. Am Wegesrand Panini und Fanta.
Irgendwo dort fällt mir auf, dass ich die ganze Woche kein einziges Mal an Zuhause gedacht habe. Über einen kurzen Grat erreicht die Straße Pietrapertosa, wahnwitzige Aussichten in die Bergwelt links und rechts.
Unsere Unterkunft verfügt über eine kleine Terrasse, perfekt für ein Bier mit Blick auf das Panorama. Der Küchenchef vom „Le Rocce“ hat zwölf Jahre am Prenzlauer Berg gelebt. Warmherziger Empfang, zum Abschied stoßen wir mit seinem selbstgebranntem Sherry an.




Tags darauf habe ich zum ersten Mal nicht wirklich Lust, aufs Rad zu steigen. So viele Eindrücke, ich komme nicht mehr hinterher.
Wenigstens ist es eine kruze Etappe. Einmal ganz runter, und wieder hoch, diesmal durch den nördlichen Teil der Piccole Dolomiti, über kleine, abwechslungsreiche Serpentinen. Wie mag es hier wohl im Frühjahr sein, wenn die ganzen kargen Bäume erst ausschlagen?
Vor dem Eingang zum Naturpark sitzen wir lange auf einer Bank in der Sonne, beobachten eine Eidechse und lauschen den Insekten. Kein Grund zur Eile: Unser heutiger Zielort Grassano sei keinen Besuch wert, wurde uns mehrfach versichert.
Die Straße wird immer steiler, ich fahre Schlangenlinien. Kurz vor der Kuppe stehen tatsächlich 24% auf dem Garmin. Wir holpern hinunter nach Garaguso. Dort gibt es nichts zu essen, aber in der Bar geben wir für das Eis einfach nur soviel Kleingeld, wie gerade zur Hand ist.





In der Ebene des Basento ist es etwas öde, bis die Straße auf einen saftigen Hang hoch nach Grassano abbiegt. Im B&B schmeißt M. eine Runde zusammengebackene Weingummi.
Später finden wir in dem angeblich so langweiligen Ort einen Kilometer abgesperrte Straße, wo die Menschen am Sonntagabend hin und her flanieren. Die wissen hier einfach wie es geht!
Auf dem Rückweg nach Bari
Und auf einmal ist schon der letzte Tag. Draußen ist es so nebelig, dass wir kaum die Nachbarhäuser sehen. Was für ein Glück – so hätte es auch die Tage über sein können. Unsere Gastgeberin hat uns ein liebevolles Frühstück bereitet. Cornetto, Zitronenkuchen, kalte Pizza, Aufschnitt und Orangen.
Durch wellig-saftige Landschaft fahren wir Richtung Bari. Am Abend haben wir noch umgeplant, weg von großen Straßen. Als mal fünf Autos am Stück überholen, fällt das nach den letzten Tagen gleich auf. Nach fünfzehn Kilometern braucht M.s Hinterrad den nächsten Schlauch, wie so ein Süchtiger.



Plötzlich wollen wir noch nicht ankommen. In Cassano sitzen wir in dem riesigen, leicht unterkühlen Saal eines leeren Restaurants, aus den Lautsprechern ballert Italo-Pop in einer Lautstärke, die jedes Reden unmöglich macht. Bis wir die riesigen Teller frische Pasta bekommen, bin ich am Frösteln.
Die Straße nach Bari fällt die meiste Zeit leicht ab, erstaunlicherweise haben wir auch mal Rückenwind, es macht Spaß, hier entlang zu brausen. M. muss anhalten und pumpen. Und ich werde wehmütig, als die schöne Landschaft so davon zieht. Gleich muss ich dies gute Blech-Rad wieder abgeben.



Bei Kilometer 95, da sind wir schon hinter der Stadtgrenze, verlangt dieses Material fressende Hinterrad den letzten guten Schlauch, den wir noch haben. Hat genau gepasst.
Und dann sind wir da. Abbiamo finito! Danke an M. für diese Idee. Ganz toll war das.
***
Die komplette Strecke (794 Km, 7.350 Hm) hier als Komoot-Collection.
Eigentlich gäbe es noch viel mehr zu erzählen. Die vielen kleinen Begegnungen, die erinnernswerten Details. Aber die muss ja jedes für sich erleben. Daher gibt es statt noch mehr Text noch einen Blogpost mit Infos zu Planung und so.
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