„Fahre zwischen dem 24.12. und dem 31.12. 500 Kilometer mit dem Rad“, so lautet die Teilnahmebedingung. Endlich ein wirksames Gegenmittel gegen die letzte Bastion der winterlichen Verweichlichung: Weihnachtsfeiertage.
Endlich ungestraft und mit gutem Gewissen die leckersten Plätzchen der Welt verschlingen, die meine Mama bäckt. Und dabei noch die Beine stählen.
„Sind jetzt auch nur 62,5 Kilometer pro Tag“, meint der Coach. Eben. Und wenn man an drei Tagen arbeiten geht, fährt man die restlichen fünf Tage halt ein bißchen mehr.
Um das Ganze etwas kompakter zu gestalten, wähle ich eine Art „morning has broken“ als persönliches Motto. Um sieben Uhr aufs Rad, je nach Streckenlänge zwischen zehn und zwölf Uhr zurück sein. Leere Straßen, wunderbare Sonnenaufgänge und danach noch Zeit für M.
Toller Plan. Ich hasse jedes einzelne Klingeln des Weckers. Warum tut man sich das an?
Es wird oft über den Schweinehund gesprochen. Unerwähnt bleibt sein Gegenspieler, mit dem jeder, der sich halbwegs ernsthaft für einen Sportler hält, doch viel stärker ringen muss. Nennen wir ihn mal die Schweinekatze. Die Schweinekatze geiert nach Jahreskilometern. Sie bekommt schlechte Laune, wenn M. leichtfertig vorne weg fährt. Sie veröffentlicht auf Komoot vorzugsweise die langen Touren mit gutem Schnitt, um sich am Neid des Kollegen V. zu ergötzen. Sie hält Übertraining für einen Mythos.
Die Schweinekatze will also, dass man 500 Kilometer zwischen Weihnachten und Neujahr fährt, und stellt den Wecker auf sechs Uhr morgens, damit es noch mehr Spaß macht.
Ich weiß warum, sobald ich auf dem Rad sitze. Morgendlich still liegt die Stadt. Die Ampeln gnädig grün. Wind im Rücken.
Ich sehe trotz guter Beleuchtung nichts.
Gruselig ist es auch. Die Unterführung, tausend Mal im Hellen gefahren, jetzt ein schwarzes Loch. War da gerade ein Schnauben? Ich denke an das Wildschwein, das an einem Hochsommerabend aus dem Gebüsch brach, an den Jagdhund mit dem orangenen Lätzchen, der mich kürzlich verfolgte. Härteste Antritte des Jahres.
Aber der Tagesanbruch. Jeder Morgen ist anders gefärbt. Tag eins pastelliges Lila und Rosa, Tag zwei zartes Gelb und Grün und Blau mit goldenen Rändern, Tag drei ein schweres oranges Gold, Tag vier brennt der Himmel in sattem Rot. Nichts, was man festhalten könnte.
Die Strecken des Jahres fahre ich ab. Nördlich raus an den Lipnitzsee, wunderschön im November durch buntes Laub. Nun klebt der Matsch am frisch gereinigtem Rad. Rüber zum Schiffshebewerk bei Niederfinow, die Barnimer Serpentine hinunter, die ich zum Training auf die Radmarathons in den Bergen genutzt habe. Nun in Gegenrichtung, wie lange, Hergottnochmal, ist denn dieses elendig gerade Stück vor Biesenthal!
Nach Börnicke, Hausrunde für laue Sommerabende, das Büro aus dem Kopf treten. Alles bekannt und doch so neu, nackte Bäume unter hohem Winterhimmel.
Bekannt und neu ist auch die Formlosigkeit nach einigen Nachsaison-Wochen. Kurbeln, kurbeln, leer fühlen, kurbeln. Ein griesgrämiger 25er-Schnitt, getarnt als Grundlagenfahrt.
Wenigstens ist es frühlingshaft mild. Mit den Temperaturen steigt die Zahl der Radler, einzeln oder büschelweise. Alle grüßen freundlich, Weihnachten macht auch vor Brandenburg nicht halt.
Einer fährt an mir vorbei, als ich etwas essen muss, nur 10 Kilometer vor zuhause. Der grüßt nicht. Der fährt noch viel langsamer als ich. Als ich überhole, sagt mir verräterisches Knacken, dass er sich ran gehangen hat. Der Puls schießt nochmal hoch, Zucker explodiert, ich sause dahin. Blick beim Abbiegen über die Schulter, er ist zurückgefallen. Die Schweinekatze lacht hämisch. Ist das auch abgehakt für dieses Jahr.
Am letzten Tag wird es dann doch noch winterlich kalt. Man könnte ja zumindest heute ein paar Stunden später losfahren, die letzten Kilometer im Sonnenschein abspulen, wenn der Wind etwas nachgelassen hat. Aber nein. Bei Minusgraden wurschtele ich morgens im dunklen Hausflur an meinen zweilagigen Handschuhen herum und hoffe einfach nur, dass kein Nachbar auftaucht. Was würde ich sagen? Dass dies eine Wette ist. Mit mir selbst. Darüber, ob ich bescheuert bin.
Unterwegs drei erfrorene Gedanken: Bitte keinen Platten jetzt – kann ich eigentlich noch bremsen – wie gut, dass das heute nur noch 70 Kilometer sind.
Nochmal ein großartiger Tagesanbruch, wie aus dem Bilderbuch, ich mag den Kopf aber nicht wenden, damit die Mütze nicht von den Ohren rutscht. Kalt die rechte Seite, wo der Wind mich anfaucht. Minus 4,7 Grad zeigt der Tachometer. Im Sommer waren es mal 39. Wir fuhren früh los, auf schattigen Waldwegen, sprangen unterwegs in einen See, der war nur noch eine Brühe, die nicht half. Ich verliere mich in wärmenden Erinnerungen, draußen tut der Körper sein Werk.
Irgendwann stehe ich an einer Hausecke in ersten zarten Sonnenstrahlen, wärme die Hände für den Stadtverkehr auf. Alles gut gegangen, das ganze Jahr über. Mehr kann man sich doch nicht wünschen.
Die letzten 15, 10 Kilometer sind dann lässig, war ja klar. War was?
Ja, doch. Ja!
Danke an:
- Rapha für die Idee
- Allen Radklamottendesignern, die zu meinem Sammelsurium an Wintersachen etwas Brauchbares beigetragen haben
- Mein gutes altes Rennrad, das einmal mehr stoisch mitgemacht hat
- Meine Mama für die Plätzchen, die wie früher und doch jedes Jahr besser schmecken. Das einzige Problem ist, dass es immer viel zu wenig sind!
Zur Ausschreibung: pages.rapha.cc/de/festive-500-2015
Some proof for Rapha: My F500 Tours on Komoot
Schreibe einen Kommentar: