Eigentlich hätte man es sich denken können. Kurz vor dem Abflug sehe ich noch flüchtig die Meldung, dass die 5. Etappe von Tirenno-Adriatico gemäß des Extreme Weather Protocol der UCI abgesagt ist. Schneefall auf dem Apennin bis runter auf 700 Meter. Viel weiter südlich werden wir auch nicht unterwegs sein.

M. und ich beobachteten wohl misstrauisch die Wettervorhersage: Temperaturen zwischen 5 und 12 Grad. Regen. Aber wir stecken beide so im Alltag fest, dass wir unser Vorhaben nicht grundlegend in Frage stellen. Es reicht gerade zu einer kurzen Besprechung, welche Regenjacke, und ob noch eine zweite wärmere Hose einzupacken ist, der Rest wird irgendwie werden, und schon sitzen wir im Flieger.

Sizilien, doch noch einmal. Ein paar Tage in der Sonne Kilometer sammeln ist der Plan. Einsame Straßen durch das Hinterland, wild-borstige Natur, leckere Pasta, die freundlichen Menschen, das alles ließ uns die Insel erneut als Ort für eine Rundfahrt früh im Jahr wählen.

Nach einiger Recherche mit Google Streetview stand auch fest, es wird wieder von Catania aus rechts am Ätna vorbei über die Berge an die Nordküste gehen, und links vom Ätna über das nebrodische Gebirge zurück nach Südosten, aber auf neuen Wegen. Knapp vier Tage wollen wir mit dem Rennrad unterwegs sein, danach ist noch Zeit für Kultur und Faulenzen.

Zuerst verläuft alles reibungslos. Bei der Ankunft hat es bewölkte, milde 13 Grad. Ettore von Rentbike.it düst zur verabredeten Zeit auf den Hertz-Parkplatz und schmeißt die Räder ab. Sattelhöhe einstellen, Gepäck festschnallen.

Jeder auf einem leichten Basso verlassen wir den Flughafen über etwas, das man bei uns für eine Autobahnauffahrt halten würde. Die kleinen italienischen Autos lassen uns genug Platz im lebhaften Sonntags-Verkehr. Niemand hupt. Ein Wagen der Polizia Nazionale passiert, zeigt uns eine Hand mit nach oben gestreckten Daumen. Erstes Grinsen breitet sich auf unseren Gesichtern aus. Wir sind unterwegs.

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Es geht durch Vororte von Catania. Wir kurven entlang niedriger Mäuerchen durch liebliche Zitronenhaine, durch winzige Städtchen mit gepflasterten Straßen, rollen am Meer entlang. Es riecht auf diese typische südeuropäische Weise nach frischer Wäsche, nach Salzwasser. M. bedauert bald, ohne eine Pause durch das Land der Schlemmereien zu fahren. Aber wir sind doch noch keine zwei Stunden unterwegs.

Nur langsam komme ich auch im Kopf an, wird mir klar, als ich einem Auto hinter mir ein Schlagloch anzeige. Erst die Steigung lenkt ab. Wenn es von der Hüfte bis zu den Knien glüht ist kein Platz mehr für Gedanken. Ich freue mich, als wir bei Riposto endgültig ins Inland abbiegen und der Anstieg auf die östliche Flanke des Ätnas beginnt.

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Der Regen kommt dann in Wellen. Erst tröpfelt es, steigert sich zu einem Nieseln, geht wieder in Tröpfeln über und hört ganz auf. Dann nieselt es, wird zu leichtem Regen, nieselt wieder, Pause.

Als es zu schauern beginnt, ziehen wir die Überschuhe an, gerade rechtzeitig. Der Regen fällt wie aus einer Gießkanne auf uns herab. Leicht zwar, aber dicht und durchnässend. Noch verzichte ich auf die Regenjacke, noch wärmt das Fahren bergauf.

An einem Abzweig ein Hinweis auf die Notwendigkeit von Schneeketten bis Ende März. Aus dem Flieger heraus hatten wir gesehen, dass die Hänge des Ätna bis weit unten weiß sind. Aber Schnee auf unserer Strecke? Es kommt mir abenteuerlich vor.

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Die Luft ist deutlich kühler geworden. Es regnet nun stärker. Wir fahren bergauf. Warm bleiben durch stetiges Kurbeln. Wasser rinnt uns in Sturzbächen entgegen, sammelt sich in knöcheltiefen Pfützen.

Schnee säumt die ansteigende Straße, erst in kleinen Flecken, dann als geschlossene Decke. Unterwegs nach Cold Mountain, schießt es mir durch den Kopf. Nur ist hier niemand abgestellt, um die zarthäutige Nicole Kidman zu retten. Notgedrungen muss man in die Rolle der robusten Renée Zellweger schlüpfen und selbst sein Gewehr oder eben den Lenker in die Hand nehmen.

Ein Schild taucht auf. Randazzo 21 km. Eigentlich keine Entfernung.

Dann beginnt es zu schütten. Wasser in großen Mengen fällt von oben auf uns herab, tropft vom Schild meiner Mütze. Wasser kommt von unten, wenn wir die tiefen Pfützen durchpflügen. Wasser spritzt kalt gegen meine Schienbeine, dringt in die Überschuhe. Meine Füße stehen mit einem Mal in eiskalter Nässe. Schnell durchweicht sind die dicken, nicht wasserfesten Handschuhe.

Mir wird sehr kalt. Viel gegessen haben wir nicht, wie auch, im Regen. Ich frage mich, was ich hier eigentlich mache. Ich weiß es nicht mehr. Wozu war es noch gut, dieses Fahren mit dem Rennrad durch eine vollständig wolkenverhangene Gegend?

Unter dem Schirm der Mütze sehe ich nur wenige Meter Straße vor mir, hoffe darauf, dass die Pfützen heller werden, als Vorbote nachlassenden Regens. Von der Landschaft um mich herum nehme ich nicht mehr viel wahr. Weiß auch nicht, wie lange wir so dahin fahren. Extreme Weather Protocol für den Jedermann-Radler: Nicht über Sinn und Unsinn des Fahrens nachdenken, so lange das Extreme Weather anhält.

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An einem Abzweig halten wir, prüfen die Richtung. Das Telefon steckt in einem wasserdichten Tütchen in einer Seitentasche des Rucksacks, ich kann es kaum hervorziehen, so steif sind meine Finger. Noch 9 Kilometer, besagt eine Infotafel. Unter uns im Hochtal liegt ein Ort, es muss Randazzo sein.

Wir fahren abwärts. Klatschnasse Waden und Füße, eiskalte Hände, ich zittere unkontrolliert. Ein paar Hundert Meter lang treibt uns ein starker Rückenwind die Straße entlang, auf den ich gern verzichten würde, so kalt ist mir. Hätte M. mir nicht zugerufen, dass wir gerade ein Lavafeld queren, ich hätte es gar nicht bemerkt.

Als wir uns im Ort verfransen, fahre ich schlotternd Kreise, während M. unsere Unterkunft auf dem Telefon ortet.

Im B&B Ai Tre Parchi ist die Dusche so heiß, dass es mir willenloses Seufzen abringt. Matteo, der Besitzer, macht uns heißen Tee, während wir unser Zimmer in ein Basislager verwandeln. Die Heizung bollert friedlich vor sich hin, trocknet geduldig alles, was wir um sie herum drapieren. Kondenswasser rinnt am Fenster herab.

Die erste Etappe ist geschafft. Knapp 80 Kilometer. Was wird uns morgen erwarten?

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Unsere Route für vier Tage: www.komoot.de/tour/7633630 – 360 km, 5.600 hm
Man kann die Route leider nur aufrufen, wenn man sich bei Komoot anmeldet. Bei Interesse verschicke ich gern die GPX-Datei.

Ein paar Tipps fürs Fahren auf Sizilien findet Ihr hier.