Scheinheilig kitzelt die Sonne mich wach. Der Ätna liegt unbewegt unter einer frischen Schneeschicht. Ein Anblick, der auf jeder Fernwanderung Freude bereiten würde. Mit dem Rennrad unterwegs erfüllt er uns eher mit Skepsis.

Ja, wir könnten auf Schnee treffen, auf dem Weg nach Santo Stefano di Camastra, lässt unser Wirt Matteo auf Nachfrage heraus. Wortreich entschuldigt er sich für das Wetter und sorgt dafür, dass wir uns mit Kaffee, Saft, Cornetto, Schinken- und Käsebroten ausreichend stärken. Einen wichtigen Hinweis gibt er am Rande, als er uns einen Kaffee-Stopp bei Floresta vorschlägt. Dort werden wir die maximale Höhe des zu überquerenden Gebirgszugs erreicht haben.

Als wir das Haus verlassen, verwandelt sich Tröpfeln gerade in Nieseln. Das ist, so haben wir gestern gelernt, eine noch annehmbare Form von Regen, mit der das Castelli Gabba gut fertig wird.

Es geht zunächst in abwechslungsreichen Serpentinen den Hang hinauf, zwischen Portella della Zoppo (1.264 m) und Portella Zilla (1.104 m) hindurch. Der Blick fällt zurück auf einen Ätna, der fantastisch in Wolken gebettet ist. Wir nehmen uns die Zeit für ein paar Fotos. Es ist sehr frisch.

Kurz darauf wird die Straße vor uns heller. Da ist tatsächlich etwas Sonnenlicht, dünne Strahlen spähen durch die Wolken, bringen eine Ahnung von Wärme, während wir bergan fahren.

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Wir passieren einsame Höfe, Hunde hetzen am Zaun entlang, bellen sich die Seele aus dem Leib. Nach einem halben Duzend Mal erschrecke ich nicht mehr. Dann fehlt einem Grundstück die Begrenzung, zwei größere Hunde von undefinierbarer Sorte setzen uns nach, jedoch scheinen sie uns nur ein Stück begleiten zu wollen. Zwei, drei Kilometer lang springen sie wedelnd um uns herum.

Wir fahren entlang seltsam braun belaubter Bäume, ein Gefühl von Spätherbst im Frühjahr. Weiter geht es hinauf, immer wieder in kurzen steilen Stücken, auf denen man den Puls hochtreiben, sich warmradeln kann. Langweilig wird die Straßenführung nie.

Um die nächste Biegung ist dann wieder Winter. Schnee am Straßenrand, Regen setzt ein. Floresta liegt zwei Kilometer vor uns, eine Pause bevor wir klatschnass sind wäre großartig! Unser Navigationssystem will uns noch vor dem Ort rechts auf einen kleinen, verschneiten Weg leiten. Tatsächlich, zuhause hatten wir die Tour auf dieser Nebenstraße geplant, die uns noch weiter in die Höhe führen soll. Darauf gepfiffen, wir wollen Kaffee und uns aufwärmen!

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Wir fahren in Floresta ein, stürmen die Bar. Helmgroße Cornettos con la crema,  Cappuccino mit Zucker.

Draußen regnet es inzwischen ausdauernd. Die lange Abfahrt hinunter ans Meer liegt vor uns, 1.200 Höhenmeter. Es wird kein Spaß. Diesmal kommt es mir vor, als sei Eiswasser schon nach Minuten in den Schuhen. Ich stehe auf den Bremsen. Bei der Nässe sind Schlaglöcher und Furchen noch schlechter erkennbar. Schnell verkrampfen meine Finger. Schnell wird es am ganzen Körper kalt, trotz mehrerer Schichten.

Gut ist, es geht abwärts. Mit jedem Meter, der geschafft ist, müsste es wärmer werden. Ich versuche, mir Erlebnisse in großer Hitze ins Gedächtnis zu rufen. Sustenpass beim Alpenbrevet. Es funktioniert nicht. Kälte nimmt dich so völlig in Beschlag. In dem Moment ist für nichts anderes Platz im Kopf.

Wir halten neben einem reißenden Bach, orientieren uns. Ich schlottere schon wieder. In Gedanken plane ich die kommenden Tage um. Was haben wir bei diesen Temperaturen im Gebirge zu suchen? Wir fahren besser an der Küste entlang über Messina zurück.

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Ganz allmählich wird die Luft tatsächlich milder, die Straße breiter und weniger steil, ich kann die Hände von den Bremsen nehmen. Ganz langsam schaut auch die Sonne hervor, scheint auf Schultern, Arme, Nacken. Aus der Kälte kommend ist das ein unbeschreiblicher Genuß!

Inzwischen bin ich froh über unsere Streckenplanung, die keine Königsetappe vorsieht, bei der wir uns richtig kaputt gefahren hätten. Maximal 110 Kilometer oder 2.000 Höhenmeter sind geplant. Die Erfahrung des letzten Jahres hat gezeigt, dass es auf Sizilien schlau ist, immer etwas Puffer zu haben. Gern hängt man einen ganzen Tag in starkem Gegenwind. Oder eine Straße ist gesperrt und zwingt zu einem Umweg. Oder man ist wie in diesem Jahr unerwartet im Winter unterwegs.

Unten an der Küste dann, das Undenkbare: wir ziehen die ein oder andere Schicht wieder aus. Sobald es zu warm wird beim Fahren, passt es eben auch nicht.

Trotzdem ist die Luft irgendwie raus. Erschöpft bin ich, ohne dass ich mich heute allzu sehr angestrengt hätte.

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Wir spulen die restliche Strecke ab. Es duftet wieder nach Süden, nach Gebäck, nach Zitronen, ein paar Kilometer lang auch intensiv nach Mandeln. Kleine Orte besiedeln dicht die Küste, pastellfarbene Häuschen, geschäftiges Treiben, Leben auf der Straße. Keramik in allen Formen wird an jeder Ecke angeboten.

So gelangen wir entlang der munter am Meer auf und ab führenden Straße zu unserer Unterkunft. Am Abend im Restaurant staunt man, als wir den riesigen Brotkorb schon zu den Antipasti einmal leer gegessen haben.

Vielleicht liegt es an den himmlischen Carbonara als Hauptgang, vielleicht am Italien-unüblich warmen Daunenbett, unter dem sich am Nachmittag so wunderbar ruhen läßt. Als wir feststellen, dass für den nächsten Tag bis 11 Uhr kein Regen vorhergesagt ist, kann jedenfalls keine Rede mehr davon sein, die Tour umzuplanen. Morgen geht es hinauf ins Nebrodische Gebirge!

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Unsere Route für vier Tage: www.komoot.de/tour/7633630 – 360 km, 5.600 hm
Man kann die Route leider nur aufrufen, wenn man sich bei Komoot anmeldet. Bei Interesse verschicke ich gern die GPX-Datei.

Ein paar Tipps fürs Fahren auf Sizilien findet Ihr hier.