„Ist richtig angenehm draußen!“ Begeistert tritt M. mit den Radschuhen in der Hand vom Balkon. Es ist kurz nach 7 Uhr am Morgen. Den Haarfön kann ich angesichts der hellhörigen Wände noch nicht anwerfen. Also rein in klamme Socken, Radhose, Trikot.

Wir wollen Santo Stefano di Camastra schnell verlassen, um möglichst lange bei Sonne auf dem Rad zu sein. Wir frühstücken, besorgen frisches Wasser für die Flaschen. Heute werden wir es hoffentlich einmal brauchen.

Unser Weg führt gleich abenteuerlich über eine dieser riesigen Betonkonstruktionen, die an der Küste entlang tiefe Buchten zwischen den Felsen überspannen. Rasch geht es hinauf, in strahlendem Sonnenschein, immer mit Blick auf das Meer unter uns.

Dieser Morgen entschädigt für alles. Das erste Mal auf dieser Reise ziehe ich unterwegs die Beinlinge aus. Ein Blick auf die Uhr, wir haben noch reichliche zwei Stunden, bevor es wieder regnen soll. Wir schrauben uns empor, in Serpentinen, es ist windstill. Innerliches Jauchzen macht sich breit. So muss eine Trainingsrundfahrt sein!

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Bei Mistretta, einem verwinkelten, steilen Ort, haben wir uns auf fast 1.000 Metern Höhe eine erste Pause vom Klettern verdient, allzu lange hält ein einsames Cornetto zum Frühstück nicht vor.

In einer Bar gibt es Cappuccino und ein leckeres Schinken-Panino. Nach anfänglichen misstrauischen Blicken erhalten wir einige Minuten später schon Tipps, wo wir noch hin fahren sollen. Dass der Regen jenseits der Berge wartet, kümmert die Sizilianer wenig, obwohl sie befremdet unsere nackten Waden beäugen. Immerhin weisen sie uns auf die Bauarbeiten auf der weiteren Strecke hin.

Frisch wird es nun trotz Sonne. Die Straße führt auf der Hochebene spielerisch auf und ab. Windräder sind hier oben positioniert, sie bewegen sich nur träge.

Grandiose tiefe Fernblicke über die dunkelgrünen Berge des Parco dei Nebrodi öffnen sich. Darüber liefern die Wolken ihr Schauspiel. Es ist ein wenig wie auf dem Dach stehen. Man könnte alle paar Minuten anhalten und schauen und ewig so weiterfahren.

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Irgendwann blicken wir dann hinunter auf Nicosia, sehen wie vorhergesagt einen Vorhang von Regen über der Stadt. Da müssen wir durch, auf der anderen Seite ist es mit etwas Glück besser.

Das ganze Gelumpe also wieder. Langarmtrikot, Regenjacke, Handschuhe, Überschuhe (diesmal über die Beinlinge, darunter ziehen hat gestern gar nichts gebracht). Meine Columbus-Schirmmütze habe ich bereits auf. Ich habe sie lieben gelernt in den letzten Tagen. Gutes Wetter – naja, gut ist übertrieben, sagen wir, halbwegs trockenes Wetter: Schirm nach oben, Sicht genießen. Schlechtes Wetter: Schirm nach unten, kein Regen fällt auf die Brille, ist ein bißchen wie das Vordach eines kleinen Zelts, positiv gesehen.

Positiv sehen hilft sowieso in diesen Momenten, wenn der Regen nicht mehr auf die Jacke prasselt, weil die schon zu durchweicht ist, um Geräusche zu erzeugen, wenn sich die Nässe von den Schienbeinen bis zum Spann vorgearbeitet hat und es sich nur noch um Minuten, vielleicht Sekunden handeln kann, bis der Fuß voll im kalten Wasser steht.

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Positives also. Zum Beispiel, wir hatten noch keine Panne auf dieser Fahrt. Die Räder passen perfekt, nichts ziept an unerwarteter Stelle, kein Knie muckt. Kein Gegenwind weit und breit. Wir können mehr essen, wenn wir frieren!

Und wir bauen Wetterkarma auf. Statistisch unhaltbar, bin ich dennoch überzeugt, es gibt so etwas wie eine ausgleichende Gerechtigkeit, was die Güte von Witterungsbedingungen angeht. Zu oft schon hatte ich einfach riesiges Glück. Dafür muss ich ja irgendwann bezahlen.

Positiv sind sogar die Lastwagen, die an den Baustellen entlang den Berg hochschnaufen. Fächeln sie mir doch in meinem schrittartigem Abfahrtstempo ein wenig warme Abgasluft um die Beine.

Diesmal endet der Regen mit einem richtigen Trommelwirbel, in dessen Nachhall wir bei Nicosia unsere Route verlieren. Noch mal durch den hektischen Verkehr in dieser engen Stadt? Viel zu nervig, lass‘ uns da vorn die Via Giovanni Falcone nehmen, dann sind wir wieder auf dem richtigen Weg.

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Die Via entpuppt sich als 18%, 20%iger Anstieg mit ordentlich Verkehr. Blick nach unten auf die Straße und treten, treten, treten. Und schon ist mir wieder warm.

Auf einer tieferen Höhenlage geht es weiter auf und ab durch die hügelige Gegend, mal antreten, mal rollen lassen. Der Verkehr liegt hinter uns. Sonnenlicht spiegelt sich in Pfützen. Wetterkarma wird verbraucht.

Schneller als gedacht liegt dann das Städtchen Agira vor uns am Berg. Auf steilem, glattem Pflaster geht es hoch hinauf zu unserer Unterkunft, die im letzten Haus vor dem Castello liegt. So steil und glatt, dass ich schiebe. In Strümpfen, denn auf Cleats finde ich erst recht keinen Halt.

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Hier oben in den Case Al Borgo dürfen die Räder mit aufs Zimmer, zum Kaffee gibt es Mandel-Biscotti, und ein Schokohase wird dem Blutzuckerspiegel geopfert.

Am späten Nachmittag haben wir eine fantastische Aussicht auf die auslaufenden Nebrodischen Berge, deren hellgrünen Hänge in goldenes Licht getaucht sind. Und als sei das nicht genug, gibt es dann noch einen Regenbogen. Tag drei von vier: perfekt!

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Unsere Route für vier Tage: www.komoot.de/tour/7633630 – 360 km, 5.600 hm
Man kann die Route leider nur aufrufen, wenn man sich bei Komoot anmeldet. Bei Interesse verschicke ich gern die GPX-Datei.

Ein paar Tipps fürs Fahren auf Sizilien findet Ihr hier.