Unwort Mentaltraining. Bei der Anmeldung zur letzten RTF habe ich gelernt, ich bin ein Trimmfahrer. Zwar las sich „Amateur“ auf dem Auswertungsbogen beim Bikefitting deutlich schmeichelhafter. Aber im Kern trifft es zu. Ich fahre ja nur in meiner Freizeit, nur zum Spaß. Warum also sollte ich meinen Kopf trainieren? Mit Hobby meint man doch: Ich mache das freiwillig und gern?
Ich soll zum Beispiel mein Ziel visualisieren, wortwörtlich gemeint. (Was, wenn ich das richtig verstanden habe, soviel bedeutet, wie mir etwas bildhaft vorzustellen.) Wie ich also über die Ziellinie fahre, mit erhobenen Armen, jubelnd. Aha.
Ich möchte mir aber lieber jeden einzelnen schönen, grausamen Pass vorstellen, den ich an einem langen Radmarathontag überquere. Schlimm genug, dass ich von denen so wenig mit bekomme, weil ich, will ich nicht vom Besenwagen gehetzt werden, unterwegs dann doch keine Zeit habe, für die Aussicht anzuhalten. Wozu 200 Kilometer unter die Räder nehmen, und davon nur die letzten 100 Meter genießen?
Ich soll außerdem fest daran glauben, dass ich es schaffen werde. Mich auf den Erfolg fokussieren. Möchte ich aber nicht. Ich nehme mir da etwas vor, von dem ich nicht sicher weiß, ob ich es kann. Dazu brauche ich Zweifel. Zweifel macht mich wach, Zweifel hilft mir, mich gründlich vorzubereiten. Zweifel hält mich demütig und bescheiden. Ich mag Zweifel.
Und dann dieses Wort: mental. Verwendet sonst kein Mensch. „Im Termin mit dem Kunden heute war ich mental gut drauf…“ Als ob man Körper und Geist entkoppeln könnte. Als ob man als Sportler einen extra Körperteil besäße!
Wie das aber immer so ist, wenn man etwas auszusetzen hat. Man macht es selbst nicht besser. So pflege auch ich meine geheimen Tricks, und einer davon heißt Dörfer kloppen.
Je bekannter eine Strecke, desto kürzer fühlt sie sich an. Die 60km-Hausrunde etwa. Da so lang, drei Ampeln, um die Ecke, kurz zwei Dörfer, rechts ab, fast schon wieder Stadtrand. Inzwischen kenne ich so sehr jede Bodenwelle, ich könnte glauben, es seien vielleicht 38 Kilometer, und wundere mich jedesmal, warum ich schon wieder über zwei Stunden brauche.
Also müssen, vor diesen langen Tagen mit Dutzenden unbekannter Kilometer, solche auch im Training her. Am besten eine demoralisierend lange Reihe von Dörfern, die abzuklappern sind. Idealerweise, auch in Zeiten der elektronischen Navigation, eine handgeschriebene Liste der Namen, damit man stets sieht, was man noch vor sich hat!
Zwischen Freitag Morgen und dem angekündigtem Pfingstbesuch tut sich eine geeignete Lücke auf. Weniger einfach findet sich eine geeignete Strecke. Die Dörfer im Umkreis von 40 Kilometern auf meiner Seite der Stadt sind schon zu oft geschrubbt. Erst dahinter läßt sich was machen, wenn auch mein Häufchen neuer Dörfer das Minimum von zwanzig Namen für eine ordentliche Geduldsprobe nicht erfüllt.
Bei 12 Grad und kurzärmelig geht es aus der Stadt, in der ersten Welle von zähem Frühverkehr wohlgekleideten Rad- und Autopendlern entgegen. Werktags hilft früh nicht, ist notiert. Aber angenehm frisch ist es auf der Haut. Einradeln bis hinter Börnicke, die Sonne darf noch fertig aufgehen.
Gratze, Beerbaum, Heckelberg säumen unbekannte Straßen. Kopien von Kirchen. Playmobil-Mann-hohes Pflaster versperrt einen Dorfkern. Der Flieder blüht, die alten Kastanien sind ein rauschendes Dach. Der Frühling hat eine satte Trägheit erreicht, kurz vor dem Umkippen. Von den Eisheiligen fehlt jede Spur.
Auch ich bin träge heute. Es zieht sich, Sinn der Sache.
Kruge, Krummenpfahl, Dannenberg, ich schufte gegen den Wind. Ein Fuchs schnürt am helllichten Morgen über das Feld. Was tut der hier, was tue ich?
Platzfelde, Rädikow, Haselberg, leicht abwärts schlängelt sich der Weg durch lichten Laubwald. Eine Entdeckung. Kaum Verkehr. Voran geht es trotzdem nicht.
Lüdershof, Schulzendorf, Möglin, Batzlow. Der Raps spielt verrückt. Ein einsamer See am Rande. Hier ist noch der Weg das Ziel.
In Buckow erstehe ich eine lose Dattel an der Theke des Natur Kontors. Danke, Herr Krabbé. Eine Bank in der Sonne, ich könnte eine Weile nur so sitzen. Fokussiere meine Dattel anstatt die Trittfrequenz. Es soll noch Gewitter geben.
Die letzten 60 Kilometer, ich kenne sie nur aus der anderen Richtung. Nicht ganz die reine Kunst. Der Wind jetzt wieder, und schlappe Beine. Zweifel, ob ich das Richtige mache. Dann aber kann nicht jeder Tag gleich sein. Das zu wissen ist plötzlich sehr wichtig.
Ab 100 km fluppt es auf einmal, schau an. Vielleicht sollte ich künftig die frühen Kilometer visualisieren. Mir sagen, dass die leicht sind.
Kurz vor der Haustür kein Gewitter in Sicht. Auch keine triumphale Fahrt über die imaginäre Ziellinie. Kein Schnitt in die Stadt zu retten.
Dafür war die Fahrt an sich einmal mehr ein Erlebnis. So für mich als Trimmfahrer. Zweifel machen demütig, sag‘ ich doch.
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