Wie anknüpfen, wenn die großen Erlebnisse langsam verblassen, die Euphorie allmählich abklingt? Wie weiter machen, wenn das Konfetti zusammen gekehrt ist und der Alltag seine Tentakeln unerbittlich ausstreckt, während ich darauf warte, dass die Beine zurückkommen?

Sich ergeben, insgeheim wirre Pläne schmieden – oder die nächste Etappe ins Visier nehmen. Denn da ist ja noch die Sache mit den Höhenmetern, die es im Brandenburger Hausrevier so nicht gibt.

Früher zuhause war das mal wieder einfacher, man fuhr die paar Kilometer raus nach Ettlingen und hing dann kotzend in der Schluttenbacher Steigung, die sich in meiner Erinnerung auf zehn Prozent über vier Kilometer hochgestapelt hat. Ein Blick ins Internet zeigt, das ist Unfug, aber ich glaube, es ist klar, was ich meine.

Eigentlich wollten M. und ich schon letztes Jahr mal im Erzgebirge radeln, oder im Harz. Aber dann war immer schon Freitag Abend, und die dringenden Fragen waren, wird morgen bereits eine kleine Runde gedreht, oder erst am Sonntag, und dann wohin, und wo wird Pasta gegessen, und braucht man nicht doch noch was von Stadler.

So blieb der Teufelsberg mit seinen 50 Höhenmetern, in endlosen Wiederholungen. Na gut, das ist nicht das gleiche wie mal 500 oder so am Stück, aber ein bißchen begreift der Rücken doch, was ich von ihm will. Zur Vermeidung einer Drehwurm-Psychose gab es den Ausflug ins Umland – auf der Suche nach Anstiegen, die auch mehrfach nacheinander gefahren werden, sich aber durch eine variierende Anreise nicht ganz so Zwangsjacken-artig anfühlen. Es gibt ein paar 8%-Schilder rund um Berlin. Man muss sie nur finden. Auf zum Oderbruch!

Ein Strohwitwen-Sonntag eignet sich dafür ausgezeichnet. Sehr zufrieden sitze ich um 6:34 Uhr am Morgen auf dem Rad. Dafür Aufstehen geht eigentlich gar nicht, aber bin ich erst draußen, ist das einfach unschlagbar. Kein Verkehr, die Luft frisch gereinigt, der Tag ist voller Möglichkeiten. Geschoben von einer leichten Brise (Udo Bölts: Immer mit dem Wind losfahren, das härtet ab!) rolle ich Richtung Bernau und Eberswalde. Es ginge auch direkter, aber ich mag die Strecke.

In Buch ist Einstimmung: Komoot leitet mich wegen etwas Pflaster auf den sogenannten Stener Berg um. Zillertaler Straße, Vierwaldstätter Weg, Gletscherstraße. Verheißungsvolle Namen, die leider nicht Programm sind (12 Höhenmeter).

Eine Weile spiele ich mit einem Bus Hase und Igel und grüble, ob da ein Schreibfehler auf dem Heck ist. Das ist mal ein anständiger Busfahrer, der blinkt nicht unbarmherzig, wenn ich bereits auf Höhe der Bus-Hüfte bin. Vielleicht stimmt ihn das Grün, dass es hier draußen schon zu sehen gibt, gnädiger, als ich es von seinen Berliner Kollegen kenne. Zum Dank kurve ich auch nicht an der Ampel blöde um ihn herum.

Hinter Biesenthal ist die Straße menschenleer. Verschlafene Waldstücke säumen meinen Weg. Zwei Kraniche, die ich fotografieren will, stimmen ein herzzerreißendes Geschrei an. Draußen sein, unmittelbar mitbekommen, wie alles lebt und wächst und vergeht. Erhebend ist das! Allein die Beine sind müde, noch oder schon oder wieder, wer weiß das.

Um halb neun schon biege ich in meine Lieblings-Tankstelle ein (wenn es sowas gibt für den Radler), der erste Abstecher, sie liegt oben am Hang (40 Höhenmeter!). Hier ist richtig was los, halb Eberswalde holt sich Zeitung und Brötchen, ich muss anstehen. Horte Apfelschorle und Brezeln, als sei ich noch auf großer Fahrt.

Die drei Berglein für heute:

Niederfinow – Hohenfinow: Am steilsten Stück verteilen sich 40 Höhenmeter auf 800 Meter. So ähnlich wie der Teufelsberg, aber die Aussicht Richtung Oder, die man sich im „Anstieg“ erarbeitet, hat etwas von echten Bergen. Ich mag die Serpentine, auch weil ich hier mit dem Jaegher runter eine schnelle S-Kurve üben kann. Im Vergleich zum guten alten Verago fühlt sich das in der Steuerung nämlich an, als habe jemand die Maus gegen den Joystick eingetauscht, ohne Gepäck noch mehr. Schon das zweite Mal bin ich in einer engen Kurve runter auf den Rasen gefahren (nicht willentlich!).

Falkenberg – Coethen: Hier sind 60 Höhenmeter zu überwinden, aber unten schlängelt sich das so gemächlich dahin, dass ich erst ab dem Ortsschild Cöthen die verbleibenden 35 auf 700 Meter ein paarmal zu mir nehme. Das hatte ich etwas anspruchsvoller in Erinnerung, immerhin führt der Weg sehr schön schattig und still durch den Wald.

Semmelberg bei Bad Freienwalde: Mit 150 Höhenmetern der höchste Berg weit und breit, leider nur auf der B158 zu befahren. Habe ich schon zu verschiedenen Tageszeiten probiert, immer ist mindestens so viel Verkehr wie auf dem Timmelsjoch, wenn halb Europa Sommerferien hat. Es ist außerdem ein schnurgerader, blöder Anstieg, wo es außer einer Skisprungschanze (deren Anblick einem wenigstens das Gefühl „steil!!“ vermittelt) nichts zu sehen gibt. Zu mehr als zwei Mal kann ich mich heute nicht aufraffen.

Vielleicht hängt mir die lange Fahrt tatsächlich noch mehr in den Knochen als gedacht. Aus dem Vollen schöpfe ich nicht. Sitze plötzlich nicht mehr richtig gut, hier ziept es und da zwackt es, dabei habe ich doch nur den Sattel ein winziges bißchen verstellt. War auf dem langen Heimweg doch so viel Chemie? Essen habe ich seit der Tanke auch irgendwie vergessen über Foto hier und Höhenmeter da. Fehlt auch M., der sonst jeden Hauch von Sonntagsbraten appetitlich kommentiert.

Der Rückweg wird dann noch richtig häßlich. Ein vierter Berg namens Wind hat sich über den Tag erhoben und pfeift mir munter entgegen (damn you, Udo!). Ich ducke mich in die Senken, verstecke mich hinter den Bäumen und denke nur noch von Dorf zu Dorf. Das Korn steht ockerfarben schwer auf den Feldern. Als habe der Sommer seinen Zenit schon erreicht. Wann ist das passiert?

Zwischen Trampe und Tuchen (wieder so Brandenburgische 10-Meter-Hubbel) esse ich gerade einen Salty-Peanut-Riegel und versuche herauszufinden, warum die Kastanien so braune Blätter haben, da setzt das bekannte nasse Rauschen ein. Wie sehr ich eine lächerliche Wetter-App inzwischen für bare Münze nehmen! Nur aus Gewohnheit habe ich die Jacke eingesteckt, nur aus Jux die Mütze, unter deren Schirm ich Regen erträglich finde, solange es nicht kalt wird. Die Überschuhe liegen zuhause auf dem Wäscheständer, da liegen sie ja gut.

Irgendwann bin ich dann so kaputt, dass ich 15 Kilometer vor Ende noch zur Fanta greife und mitten im Sommer von meiner Badewanne fantasiere. It never gets easier, steht auf meinem Rad. Wie wahr. It never gets anywhere!

Aber wenigstens werde ich nicht auf dem letzten halben Kilometer vom Peloton überrollt, und niemand zerrt mich vom Rad und zwingt mich, meinen Einbruch ins Mikro zu erklären. Es kann eben nicht immer Gold sein.

Am Ende habe ich fast 1.400 Höhenmeter eingesammelt. Quark und Pfirsiche aus der Dose, Post-Belastungs-Leibspeise des Coachs, leisten Erste Hilfe.

Und da es gerade mal halb zwei ist, habe ich noch den ganzen Nachmittag Zeit, um Profi-mäßig die Beine hochzulegen und denen zuzusehen, für die es wirklich drauf ankommt. Dann fahrt mal schön, Jungs! Etwas Konfetti liegt vielleicht noch unter dem Sofa.

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